Wer im «Tages Anzeiger» inseriert, lässt sich dies normalerweise etwas kosten. Gemäss der für die Vermarktung zuständigen Agentur Goldbach kostet eine halbseitige Annonce (mit Textanschluss) 24'288 Franken.
Der Schweizer Sportschuhhersteller On, der im Windschatten von Partner und Markenbotschafter Roger Federer zum globalen Brand geworden ist, arbeitet mit feinerer Klinge.
Im Tagi vom 16. Juli 2024 erhielt er im Sportteil rund Dreiviertel Seiten, um ein neues Herstellungsverfahren für Laufschuhe zu beschreiben – aber nicht etwa als Inserat, sondern als (pseudo)journalistischer Beitrag, in dem Redaktor Christian Brüngger zwar als Autor zeichnet, in dem faktisch aber nur Nils Altrogge, On-Direktor für Innovation und Forschung, zu Wort kommt.
Titel des Beitrags: «Dieser Schuh soll die ganze Branche revolutionieren.» Und dann werden in fünf Abschnitten (von On selbst gestellte?) Fragen beantwortet, die das «neuartige Verfahren» zur Schuhherstellung erklären und anpreisen.
Altrogge sagt beispielsweise: «Der CO2-Ausstoss ist beim neuen Verfahren geringer als bei der Herstellung eines herkömmlichen Obermaterials.» Oder: «Weil uns die Nachhaltigkeit sehr wichtig ist, führt kein Weg an einer hohen Zahl von Schuhen vorbei.»
Und auch für einen semi-philosophischen Exkurs ist Platz: «Wir wollten die traditionelle Denkweise aufbrechen.» Fazit von Altrogge: «Nach der Präsentation hatten wir alle ein Glänzen in den Augen.»
Der Input von Redaktor Christian Brüngger beschränkt sich auf den Verweis, dass die Kenianerin Hellen Obiri im vergangenen April im neuen On-Schuh den Boston Marathon gewonnen hat – und dass an den Olympischen Spielen in Paris die «Besten je ein Modell mit der neuen Technologie für Bahn und Strasse erhalten werden».
Und dann liefert Brüngger quasi den journalistischen Offenbarungseid und schreibt: «On gewährte dieser Redaktion einen exklusiven Einblick mit der Auflage, vor der Publikation nicht darüber zu sprechen. Entsprechend konnten keine Expertenstimmen eingeholt werden.»
Der langen Rede kurzer Sinn: Wer im «Tages Anzeiger» sein neues Produkt anpreisen will, muss nicht zwingend ein Inserat platzieren. Gute Beziehungen zur (Sport-)Redaktion reichen.
David Allemann, Mitbegründer von On, erklärte die Marketingstrategie des Unternehmens vor einigen Jahren so: «Bei On in Zürich arbeitet ein Marketing- und Kreativteam von 70 bis 80 Spezialisten. Das sind Content-Entwickler, Interaction-Designer, Art Directors, Grafik-Designer, Sport-Marketing-Pros, Produkt-Designer, Event-Organisatoren, Social-Media-Managers, PR-Spezialisten, Producers, Architekten und Leute, deren Funktionen wir noch nicht mal betitelt haben.»
Und dann sagte Allemann ausserdem: «Wir machen bei On keine Werbung, sondern erzählen Geschichten.»
Anmerkung des Klein Reports: Aber erst wenn jemand so grosszügig Platz bietet wie der «Tages Anzeiger» in der Dienstags-Ausgabe, kommen diese «Geschichten» auch beim Kunden an.
Der Klein Report hat bei Tamedia nachgefragt, weshalb der Text nicht als «Sponsored Content» deklariert worden ist. «Bei besagtem Artikel ist kein Werbegeld geflossen, es ist eine rein journalistische Geschichte, daher wurde der Artikel auch nicht mit ‚sponsored content‘ gekennzeichnet», antwortet Franziska Lurk für die Medienstelle.
Auf die Frage, wie sich die Restriktion «On gewährte dieser Redaktion einen exklusiven Einblick mit der Auflage, vor der Publikation nicht darüber zu sprechen» und «entsprechend konnten keine Expertenstimmen eingeholt werden» mit seriösem Journalismus vereinbaren lasse, antwortete Tamedia: «Wie im Artikel klargestellt, gewährte On der Redaktion einen exklusiven Einblick mit der Auflage, vor der Publikation nicht darüber zu sprechen. Entsprechend konnten keine Expertenstimmen eingeholt werden. Durch diese Deklarierung im Text wird transparent darüber aufgeklärt.»
Verneint wurden die Fragen: Hat der «Tages Anzeiger» Geld (oder der Autor Sachleistungen) für diesen Text direkt oder indirekt erhalten? Und sind der Tamedia als Herausgeberin mit diesem Text direkt oder indirekt Werbebuchungen versprochen worden?