Die Anhaltung eines Marokkaners im Juni 2021 in der Stadt Bern hat zu grossen medialen Verwerfungen geführt.
Die Tamedia-Zeitungen «Der Bund» und die «Berner Zeitung» haben die Polizeiaktion mit dem Tötungsdelikt von George Floyd in Verbindung gebracht. Mehrere Tamedia-Journalisten und Fotografen waren beim Vorfall vor der Heiliggeistkirche zugegen.
Ein Polizist habe den Mann mehr als zehn Minuten mit seinem Knie am Hals am Boden festgehalten, berichteten die Zeitungen. Gemäss Philippe Müller, Sicherheitsdirektor der Stadt Bern, war es aber viel kürzer und der Polizist habe mit dem Schienbein und nicht mit dem Knie den Mann am Boden festgehalten. Zudem sei er nicht in Bauchlage gewesen, sagte er an einer Medienkonferenz am Donnerstag. Man habe das mit Zeitstempel der Fotografen belegen können. Es waren genau eine Minute und dreizehn Sekunden, so Philippe Müller.
Chefredaktorin Ursula Klein und Redaktorin Christine Huber haben die PK über einen Live-Stream mitverfolgt.
Diese und viele weitere Anklagepunkte gegenüber dem «Bund» und der «Berner Zeitung» sowie den Medien im Generellen erhob Müller am Donnerstagmorgen an der Medienkonferenz in Bern, an der mit ihm auch Rechtsanwalt Manuel Bertschi und dreizehn weitere Journalisten an einem U-förmigen Tisch sassen.
Bertschi, der von der Berner Regierung als «unabhängiger Experte für Medienrecht» vorgestellt wurde, sei in seiner Einschätzung zum Schluss gekommen, «dass die Berichterstattung von ’Der Bund’ und ’Berner Zeitung’ in weiten Teilen angemessen, jedoch in wichtigen Punkten irreführend und vorverurteilend gewesen sei».
«’Der Bund’ sei der Wahrheitssuche ungenügend nachgekommen und hätte die journalistische Sorgfaltspflicht und damit den Schweizer Journalistenkodex verletzt», führte der Medienrechtler an der Medienkonferenz aus.
Bertschi und Müller führten mehrmals aus, dass der sofortigen Berichtigungspflicht zum Teil bis heute nicht nachgekommen worden sei.
Medienanwalt Bertschi monierte vor allem, dass die Aussagen bezüglich des Falles Floyd nie deutlich abgegrenzt worden seien. Er verwies auf den Gerichtsmediziner Ulrich Zollinger, von dem die Zeitungen eine Beurteilung des Falles Floyd aus dem Archiv verwendet haben.
Dadurch entstand ein fataler Kontext zu Floyd, wie der Klein Report anführt. Auf die schnelle und geharnischte Reaktion des emeritierten Professors für Rechtsmedizin der Universität Bern reagierte Tamedia aber schnell und stellte das Malais klar. Da lag das Kind aber schon im Brunnen. Für den Klein Report ist klar, dass da ein veritabler Machtkampf zwischen der Berner Regierung und den Tamedia-Titeln losging, der durch die Motion «Machtmissbrauch durch Medien-Konzern: Kantonsangestellte schützen» Fahrt aufnahm und bis heute anhält.
Für die Berner Regierung erfolgte die Klarstellung der Tamedia-Zeitungen auch zu spät. Denn mehrere mutmasslich persönlichkeitsverletzende Online-Leserkommentare blieben monatelang aufgeschaltet.
Die Redaktion löschte diese erst über zwei Jahre nach dem Vorfall am 11. Juni 2021, nachdem über die Motion Druck gemacht worden ist. «Bis heute sind verletzende und vorverurteilende Online-Kommentare aufgeschaltet», schreibt der Regierungsrat. «Eine Woche nach dem ersten Bericht klärte ‘Der Bund’ die Leserschaft schliesslich in einer ‘Analyse’ darüber auf, dass der Berner Fall nicht mit dem Fall George Floyd vergleichbar sei und die Dimensionen zu wahren seien. Die Klarstellung erfolgte damit zu spät. Sie enthielt nichts, das der Redaktion nicht schon eine Woche vorher bekannt war.»
Das Regionalgericht Bern-Mittelland sprach den Polizisten am 5. September 2023 von allen strafrechtlichen Anschuldigungen rechtskräftig frei. Deshalb konnte auch der Presserat nicht eingeschaltet werden, da das Gremium sich nicht einschaltet, wenn juristische Verfahren am Laufen sind.
Für den Regierungsrat ist das Interesse an der Berichterstattung unbestritten. «Der Bericht des Regierungsrats erfolgt im Bewusstsein, dass es einzig den zuständigen Gerichten obliegt, über die Rechtmässigkeit einer Berichterstattung zu urteilen», schreibt die Berner Regierung dazu.
Umso mehr sei anzuerkennen, dass die Redaktion ihr Vorgehen im Zusammenhang mit der Berichterstattung in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Regierungsrat erklärt habe.
Der Regierung sei bewusst, dass so eine Kritik an der Berichterstattung in Form eines Berichts an das Parlament ungewöhnlich sei. «Er hält jedoch fest, dass es dem Grossen Rat freisteht, zu welchen Themen er Abklärungen einholen möchte. Die Pressefreiheit und die Zuständigkeit der Justiz bleiben gewahrt.»
Auf eine Frage eines Journalisten, wie hoch denn die juristischen Kosten seien, erklärte Müller: «Das Kostendach liegt bei 40’000 Franken.» Ein anderer Journalist beklagte sich, dass er keine Antworten von Tamedia erhalten habe, und wieder ein anderer fragte, weshalb man nicht einen Experten einer Uni genommen habe.
Fazit des Klein Reports nach der viel zu langen, 50 Minuten dauernden Medienkonferenz ist, was Philippe Müller gegen Ende ausführte: «Der Regierungsrat fände es gut, wenn man sich beim Polizisten entschuldigen würde.» Vor allem im Wissen, dass die Berichterstattung nicht gestimmt habe, so der Politiker.
Die Tamedia ihrerseits hat mit einem 50-Seiten-Bericht auf die Vorwürfe reagiert und ihre Stellungnahme über Keystone-SDA verteilt. Aktueller Stand gemäss Philippe Müller: Tamedia bietet an, mit dem Polizisten nochmals zu sprechen.