Künftig müssen alle Haushalte in der Schweiz Radio- und TV-Gebühren bezahlen, unabhängig davon, ob sie Empfangsgeräte haben oder nicht. Am Mittwoch hat der Bundesrat seinen Bericht zur Revision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) dem Parlament überwiesen. Der Klein Report hat bei Deborah Murith, Mediensprecherin des Bundesamts für Kommunikation (Bakom), nachgefragt, wie es der Bund mit der Ertragsneutralität, der Wahlfreiheit und dem Verursacherprinzip hält.
In der Botschaft des Bundesrates ist von Ertragsneutralität die Rede. Das Ziel sei es, dass die bisherigen Erträge gleich bleiben. Woher kommt dann das Geld, das etwa für die Untertitelung der regionalen Newssendungen verwendet werden soll?
Deborah Murith: «Die Ertragsneutralität bezieht sich auf den eigentlichen Systemwechsel, das heisst, die Ersetzung der Empfangsgebühr durch die neue Abgabe soll nicht einen höheren Ertrag generieren. Das schliesst aber nicht aus, dass der Bundesrat wie bisher aus medienpolitischen Überlegungen bei neuen Aufträgen zusätzliche Gebühren sprechen kann.
Die Beantwortung der beiden Fragen ist aber bei der Gebührenfestsetzung zu trennen und transparent zu machen. Für die Untertitelung auf lokaler Ebene wird etwa mit einem Mehraufwand von 2,5 Millionen Franken gerechnet, was zirka 0,2 Prozent des gesamten Gebührenertrags ausmacht. Geht man davon aus, dass die Gebühr unter dem neuen System gut 400 Franken betragen wird, macht das etwa 80 Rappen pro Jahr aus. Dieser Betrag bewegt sich unterhalb der Schätzungsgenauigkeit bei der Gebührenfestsetzung.»
Weshalb wurde, man denke etwa an Geringverdienende, die auf den Medienkonsum verzichten wollen, keine Möglichkeit des Opt-out geschaffen - war allein der finanzielle Mehraufwand ausschlaggebend, der durch die Wahlfreiheit entstehen würde?
Murith: «Der Systemwechsel erfolgt, weil das Empfangsgerät aus technischen Gründen nicht mehr als Anknüpfungspunkt für die Gebührenpflicht taugt. Ob ein Computer - PC, Laptop, Tablet, Smartphone - zu einem Empfangsgerät wird, wird nicht mehr durch die Technik bestimmt, sondern durch die konkrete Nutzung, und die kann und will man nicht kontrollieren.
Bei einem Opt-out würde das untaugliche technische Kriterium durch die Hintertür wieder eingeführt mit allen Nachteilen. Man müsste wieder ein aufwendiges Kontrollsystem einführen und Verfahren gegen Schwarzhörer und Schwarzseherinnen durchführen. Die technische Entwicklung schreitet weiter voran. Kommt das neue System, wird es etwa in fünf Jahren operationell sein. Nach der Verabschiedung des Gesetzes muss der neue Inkassoauftrag zuerst ausgeschrieben und das neue System anschliessend aufgebaut werden. Es dauert also noch etwa so lange, wie Zeit vergangen ist, seit das iPhone in der Schweiz offiziell eingeführt worden ist. Dannzumal werden sich die technischen Voraussetzungen weiter verändert haben und eine Abgabe mit technischem Anknüpfungspunkt wird definitiv illusorisch.
Im Übrigen ist der Service public eine öffentliche Aufgabe, die durch einen demokratisch verabschiedeten Verfassungsartikel und ein Gesetz eingefordert wird. Dahinter steht die Überzeugung, dass heute ein funktionierendes Radio- und Fernsehsystem für den demokratischen Prozess nötig ist. Dass die demokratische Willensbildung funktioniert, ist aber im Interesse aller - auch derjenigen, die selbst keine Programme konsumieren.»
Wieso hat man bei der Definition von «kleinen Unternehmen» nicht auf die Definition des Bundesamtes für Statistik (BfS) zurückgegriffen, wie das vom Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) gefordert wurde?
Murith: «Die Vorgabe stammt aus der Motion des Parlaments. Ziel ist, vor allem kleine Familienunternehmen zu befreien, bei denen die Doppelzahlung zu einer unzumutbaren Doppelbelastung führen würde. Die Grenze von 500 000 Franken ist im schweizerischen Recht als Abgrenzungskriterium verbreitet. Es ist etwa ausschlaggebend, ob ein Unternehmen buchführungspflichtig ist oder - im Postbereich - ob es einer meldepflicht unterliegt.
Das Parlament hat als Grundsatz eine umfassende Zahlungspflicht für Betriebe mit Ausnahmen festgelegt. Dazu steht die Lesart des Gewerbeverbands im Widerspruch, die zu einer Befreiung von 98 Prozent der Betriebe führen würde. Noch der Bundesratsvorschlag geht weit: Nur 30 Prozent aller Betriebe werden die Abgabe bezahlen müssen.»
Wieso werden Unternehmen in Zukunft immer noch zur Kasse gebeten, obwohl mit der neuen Regelung bereits gesichert ist, dass alle Mitarbeiter für allfällige Medienleistungen, die sie im Unternehmen konsumieren, schon bezahlt haben?
Murith: «Auch heute bezahlen Betriebe mit Geräten, selbst wenn die Mitarbeiter zu Hause bereits Gebühren entrichten. Bei den Betrieben stellt sich das gleiche Problem wie bei den Haushalten: Die Empfangsgeräte können nicht mehr als Anknüpfungspunkt für eine Zahlungspflicht verwendet werden. Schliesslich profitieren auch die Betriebe direkt oder indirekt von einem Service public, der Leistungen für eine funktionierende Demokratie erbringt.»
Widerspricht die neue Regelung nicht dem Verursacherprinzip und der Wahlfreiheit?
Murith: «Zum Verursacherprinzip ein Beispiel: Eine `Tagesschau` wird genau einmal produziert und dabei entstehen Fixkosten, die nicht davon abhängig sind, ob viele oder wenige zuschauen. Die Kosten sind Folge des Leistungsauftrages und nicht davon, wie gross die Zuschauerzahl ist. Wer Radio oder Fernsehen konsumiert, versursacht somit keine Kosten beim Programmveranstalter. Im Gegenteil: Er generiert beim Fernsehveranstalter einen Ertrag, da er als Werbekontakt zur Verfügung steht. Das Verursacherprinzip wird also im Radio- und Fernsehbereich gerade auf den Kopf gestellt und kann nicht als Begründung für eine Zahlungspflicht dienen.
Wahlfreiheit meint: Man wählt eine Leistung und ist dann auch bereit, dafür zu bezahlen. Diese Wahl ist angesichts der technologischen Entwicklung zur Fiktion geworden. Wer sich beispielsweise aus beruflichen Gründen einen Breitbandanschluss zulegt, hat die Möglichkeit zum Fernsehempfang, auch wenn er sich nicht für den Kauf eines TV-Geräts entschieden hat. Die Gebührenpflicht ist dann nicht Folge einer Wahl zugunsten des Fernsehens, sondern Konsequenz einer beruflichen Notwendigkeit. Eine echte Wahlfreiheit existiert faktisch kaum mehr.»
Botschaft zur Teilrevision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG): Radio- und TV-Gebühren sollen auf 400 Franken pro Jahr sinken und neue Regeln für konzessionierte TV-Regionalsender und die Reaktion vom Verband: Telesuisse-Präsident hält Vorschlag für die RTVG-Revision für «keinen grossen Wurf»