Unter den Leserkommentaren auf den Zeitungs-Websites findet sich trotz Prüfung immer mal wieder Antisemitisches. Bei den Facebook-Seiten scheint der redaktionelle Filter gänzlich zu versagen, wie aus dem neuen «Antisemitismusbericht 2019» des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) hervorgeht.
Online-Antisemitismus macht dem SIG «weiterhin grosse Sorgen»: «Während es in der Schweiz in der realen Welt zu weniger gewalttätigen Übergriffen kommt als in europäischen Nachbarländern, ist online die Qualität und das Ausmass an Übergriffen auf einem vergleichbaren Niveau», geht aus dem am Dienstag publizierten Bericht hervor, den der SIG zusammen mit der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus erarbeitet hat.
So zählte der Bericht 2019 in der Deutschschweiz offline 38 antisemitische Vorfälle, worunter vor allem Beschimpfungen und Schmierereien, aber keine Tätlichkeiten oder Sachbeschädigungen zu finden sind. Einem jungen Mann, der mit Kippa an einer Zürcher Bushaltestelle sass, wurde zum Beispiel zugerufen: «Ihr Juden solltet hier besser keine Kippa mehr tragen. Mit euch werden wir kurzen Prozess machen!»
Auch wenn mit einer Dunkelziffer von Offline-Vorfällen, die nicht gemeldet wurden, zu rechnen ist: Die online dokumentierten Fälle bewegen sich auf einem deutlich höheren Niveau.
So erfasste der Bericht in der Deutschschweiz im letzten Jahr 485 Online-Vorfälle und 105 «grenzwertige Aussagen». Schauplatz antisemitischer Äusserungen waren hier vor allem die Sozialen Medien, wo mit über neunzig Prozent der Vorfälle am meisten Hass geschürt wurde, auf Twitter etwa doppelt so häufig wie auf Facebook.
Inhaltlich am heftigsten war es nach dem Attentat in Halle und den Angriffen auf Juden in New York: Die Juden wurden durch ihr angebliches Handeln oder die Politik Israels selbst dafür verantwortlich gemacht, dass sie angegriffen werden. Auf einem Facebook-Profil stand unter «Lieblingszitat»: «Nur ein toter Jude ist ein guter Jude».
Speziell auch Verschwörungstheorien sind laut dem Bericht auf dem Vormarsch. Eines der bedienten Narrative: «Israel hat den ´Islamischen Staat` gegründet, um den Nahen Osten zu destabilisieren und so der Bildung von ´Grossisrael` vom Nil bis zum Euphrat näherzukommen.»
Bei den Leserkommentaren auf den Zeitungs-Websites, auf deren Konto etwa zehn Prozent des Online-Antisemitismus geht, zählte der SIG-Bericht 2019 bei der «Basler Zeitung» mit 13 Vorfällen am meisten Entgleisungen. Fast alle davon fallen ins erste Halbjahr 2019, also in jene Zeit, als die BaZ noch dabei war, den Besitzerwechsel zu Tamedia zu vollziehen.
Auch beim «Tages-Anzeiger» wurden zwar 13 Vorfälle gezählt, zehn davon gingen allerdings auf einen einzigen Artikel zurück, wobei der Bericht den Trigger nicht namentlich benennt. Bei watson.ch gabs sechs Vorfälle, bei 20min.ch gabs zwei, bei blick.ch einen Vorfall.
Prüfen die Zeitungen ihre Online-Leserkommentare nicht genug, wie es ja auch der Presserat bei diskriminierenden Aussagen verlangt? Dass es trotz redaktionellem Filter immer wieder Antisemitisches in die Kommentarspalten schaffe, liege daran, dass es sich um «komplexere, verklausulierte antisemitische Aussagen» handle, steht in dem Bericht dazu.
(Noch) bedenklicher sieht die Bilanz bei den Facebook-Accounts der untersuchten Online-Medien aus: «Da dort die Kommentare zu den geposteten Artikeln selten kontrolliert zu werden scheinen», finde sich laut dem Bericht bei gewissen Artikeln ein «grosses Spektrum an antisemitischen Äusserungen».
«Trotz oftmals sogar strafrechtlich relevanter Aussagen stehen die Verfasser meist offen mit ihrem Namen und erkennbarem Profilbild dahinter.»