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Montag
15.07.2019

Medien / Publizistik

Presserat: «Opferschutz, nicht Leserschutz»

Presserat: «Opferschutz, nicht Leserschutz»

In allen Einzelheiten hat «20 Minuten» die abscheulichen Taten und Fantasien eines Pädophilen geschildert. Ein Leser warf dem Blatt vor, die Sensationslust zu bedienen und zur «Nachahmung» anzuleiten. Der Presserat wies die Beschwerde ab.

Der Artikel «Den letzten Atemzug eines Kindes spüren» von Ann Guenter handelt von einem pädophilen Schweizer und seinem deutschen Mittäter V., um den es vor allem geht. Zahlreiche seiner Taten und Vorstrafen werden aufgezählt: So habe V. zum Beispiel 2008 mit einem Mann in Glarus seine Kinder zur Vergewaltigung getauscht. Dabei werden Details aufgezählt wie die Tatsache, dass V. nicht vom Sohn des Schweizers abgelassen habe, als dieser kollabiert sei.

Oder einen Chat-Partner habe V. gefragt, ob er mal «den Atem eines sterbenden Kindes spüren» wolle, er habe dazu Bilder von strangulierten Kinderleichen und von an den Genitalien verletzten Kindern mitgeschickt. Weiter steht in dem «20 Minuten»-Artikel, wie V. in einem Chat davon redet, dass er Kinder beim Geschlechtsverkehr Nadeln unter die Zehennägel stechen wolle.

Insgesamt lese sich der Artikel «wie eine Anleitung für Nachahmer», beschwerte sich ein Leser beim Schweizer Presserat. Die Privatsphäre und die Menschenwürde seien verletzt, insbesondere die zum Journalistenkodex gehörende Richtlinie 7.3, bei der es um den Schutz der Privatsphäre von Kindern geht, speziell in Berichten über Gewaltverbrechen. Auch die Richtlinie 7.7, die generell die Opfer von Sexualdelikten schützt, sei verletzt, so der Beschwerdeführer. 

Diese Kritik unterstützt der Presserat nicht: Die Richtlinien verlangen, dass die Opfer anonym bleiben müssen, damit ihr Leiden nicht durch die Veröffentlichung der Taten noch verschlimmert wird. «Die Privatsphäre der im vorliegenden Artikel beschriebenen Opfer von Gewalttaten wurde in keiner Weise verletzt, sie sind für die Leserschaft nicht kenntlich geworden», schreibt der Presserat in seiner Stellungnahme.

Die Richtlinie 8.3 zum «Opferschutz» schützt die Opfer von «dramatischen Ereignissen oder Gewalt» und verbietet die «sensationelle Darstellung von Sterbenden, Leidenden und Leichen». 

«Aber auch diese Bestimmung steht unter dem Titel ‘Opferschutz‘», so der Presserat. Es gehe nicht um den «Schutz der Leserschaft vor Sensationalismus», sondern um den Schutz von Gewaltopfern vor der öffentlichen Zurschaustellung. Die Richtlinie tauge nicht dazu, den «20 Minuten»-Artikel als eine «Anleitung zur Nachahmung» zu kritisieren, wie ihn der Beschwerdeführer empfinde.

Der Presserat weist die Beschwerde zwar ab, schreibt aber auch: «Man mag sich fragen, ob '20 Minuten' mit der Schilderung von Details wirklich so weit hat gehen müssen.»