Die Gratiszeitung und Onlineplattform «20 Minuten» legt Wert auf verifizierte Tatsachen und journalistische Glaubwürdigkeit – zumindest vordergründig.
In der Rubrik «Faktencheck» entlarvt sie beispielsweise ein von Donald Trump verbreitetes Bild von Kamala Harris mit dem verhafteten Rapper Diddy als «manipuliert».
Nicht ganz so genau nimmt es die Publikation, wenn es um die eigenen Inhalte geht. Im Rahmen der «Selbstbeweihräucherung» anlässlich des 25-Jahre-Jubiläums der Zeitung halfen die Redaktorinnen bei einer Umfrage mit künstlicher Intelligenz nach.
In den Leservoten heisst es beispielsweise vom 23-jährigen Darrell: «Ich schätze ‚20 Minuten‘, weil die Berichterstattung neutral und sachlich ist. Dadurch fühle ich mich gut informiert und kann mir meine eigene Meinung bilden, ohne das Gefühl zu haben, in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden.»
Auch Remo (28) schätzt die Zeitung für ihren Informationsgehalt: «Mit ‚20 Minuten‘ weiss ich immer, was los ist. Schnell und easy – danke!»
Die Meinungen sind schön – zu schön, um wahr zu sein. Wie nun ausgekommen ist, existieren weder Darrell noch Remo. Beide sind das Produkt von künstlicher Intelligenz und ihre Aussagen frei erfunden.
Die Zeitungen von CH Media schreiben von einer «besonderen Fehlleistung». «20 Minuten»-Chefredaktorin Désirée Pomper äusserte sich in einer Medienmitteilung in aller Schärfe: Mit diesem Vorgehen sei durch die Redaktion «fundamental» gegen die publizistischen Leitlinien verstossen worden.
Die Redaktionsleitung habe keine Kenntnis gehabt. Der Fall werde nun aufgearbeitet und «angemessene» Massnahmen würden ergriffen. Die Chefredaktorin entschuldigt sich für die Fehlleistung; sie werde «alles daran setzen, dass sich dies nicht wiederholt».
So bedenklich die Angelegenheit ist, kann man sie auch positiv interpretieren. Einerseits macht sie deutlich, wie gefährlich die vielgepriesene KI für den seriösen Journalismus ist, andererseits macht sie auch unmissverständlich klar: Es führt kein Weg an sauberer Recherche vorbei. Wer sich die Wahrheit um die eigenen Wunschvorstellungen zurechtbiegt, hat im Journalismus nichts verloren – auch wenn er (oder sie) gerade auf ein Jubiläum anstossen kann.