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Montag
03.10.2022

Medien / Publizistik

Viele Plätze bleiben frei im Zürcher Schauspielhaus...

Viele Plätze bleiben frei im Zürcher Schauspielhaus...

Seit drei Jahren leiten die Hamburger Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann das Zürcher Schauspielhaus. Sie wollten das Theater zum Volk bringen.

Die Theaterleute würden zu dieser Stadt gehören und auch präsent in den Beizen und Badis der Stadt sein, haben sie bei ihrem Stellenantritt versprochen.

Dann kam schon bald der Lockdown. Nicht nur in den Badis und Beizen, auch auf der Bühne blieb kaum mehr eine Chance zur Profilierung.

Inzwischen muss das Haus am Pfauen «miserable Zahlen», vermelden, wie die «NZZ am Sonntag» in einem grossen Magazin-Beitrag schreibt. Bloss 72 Prozent aller Abonnemente wurden auf die laufende Spielzeit hin erneuert. In den Jahren von 2013 bis 2019 lag diese Quote konstant bei über 95 Prozent.

Die Intendanten sehen die Schuld für das geschwundene Interesse des Publikums weiterhin bei der Seuche. Die Leute hätten sich daran gewöhnt, nicht mehr regelmässig in den Ausgang zu gehen.

Für die «NZZ am Sonntag» überzeugt die Argumentation nicht. Denn im Vergleich mit anderen Bühnen schneide das Zürcher Theater «merklich schlechter» ab. Das zeige etwa der Blick nach Bern, wo man sich in dieser Saison über eine Erneuerungsquote von 91 Prozent freuen darf. Auch in Basel beträgt die Erneuerungsquote 96 Prozent. Ebenfalls auf 96 Prozent kommt die Zürcher Oper, «womit auch dieses Haus wieder auf vorpandemischem Niveau liegt», wie es heisst.

Die Kulturredaktion gleich neben dem Opernhaus ortet deshalb den Zuschauerschwund beim neuen Konzept. Blomberg und Stemann würden das Haus «nach Diversitäts- und Inklusionskriterien» umbauen. In der Selbstbeschreibung klingt das so: Man bemühe sich um einen «transdisziplinären, inklusiven und intersektionalen Ansatz» sowie eine «grösstmögliche Diversität» im Publikum wie in der Belegschaft. Und das nicht bloss «hinsichtlich Alter, Gender, Race und Herkunft», sondern auch hinsichtlich «anderer Kategorien systemischer Diskriminierung».

Dazu arbeitet seit einem Jahr eine «Agentin für Diversität» im Haus. Zudem empfiehlt die Leitung ihren Mitarbeitenden, bei den hausinternen Sensibilisierungsworkshops mitzumachen. Ziel: Förderung der «Diversitätskompetenzen».

Wenig Applaus für dieses Theater gibt es von den «Freunden des Schauspielhauses». Auch Jost Wirz ist dort Mitglied. Während zwanzig Jahren war der Doyen einer der grössten Werbeagenturen der Schweiz «Dauergast» im Schauspielhaus. Jetzt hat auch der passionierte Theatergänger sein Abonnement gekündigt. «Es brodelt bei uns», will er die Stimmung im Verein beschreiben.

«Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass Blomberg und Stemann die Menschen verachten, die ihre Vorstellungen besuchen», lässt sich Jost Wirz zitieren. Der Applaus von Freunden und Kritikern sei ihnen offenbar wichtiger als die Zufriedenheit des Publikums. Für die derzeitige Inszenierungspraxis findet Jost Wirz sogar das Wort «Verarschung».

An der Intendanz von Barbara Frey – Blombergs und Stemanns Vorgängerin – hätte er kaum etwas auszusetzen gehabt. Er habe auch nichts gegen Sozialkritik und Stücke, die das Elend der Welt beklagten, sagt Wirz. Bloss sei in der Ära Frey die Palette des angebotenen Theaters eben noch viel breiter gewesen.

Die Stadt Zürich subventioniert das Theater mit jährlich knapp 40 Millionen Franken. Von der Behörde werden die Intendanten gestützt, weil sie sich um Diversität bemühen. Man habe sich mit Blomberg und Stemann für ein Konzept entschieden, das die Diversität der Gesellschaft abbilden möchte. Ein Konzept auch, das neben dem bestehenden Publikum weitere Bevölkerungskreise ansprechen möchte.

Bis jetzt gibt es allerdings keine Anzeichen, dass ein frisches, junges Publikum die verlorenen Stammgäste ersetzen würde.