Es ging hoch zu und her im Zürcher Gemeinderat am Mittwochabend: Eine geschlagene Stunde stritt sich das Stadtparlament über ein weitgehendes Verbot von Aussenwerbung auf Stadtboden.
Schliesslich überwies der Gemeinderat ganz knapp mit 58 Ja- zu 57 Nein-Stimmen bei 0 Enthaltungen den Vorstoss an den Stadtrat.
Als Erstes bekam Gemeinderat Michael Schmid von der Alternativen Liste (AL), die den Vorstoss lanciert hatte, das Wort. Ziel der Werbung sei die Menschen «zu manipulieren». Sie wecke künstliche Bedürfnisse, mache «uns» unzufriedener und produziere «Überkonsum».
Bei einer Zeitung oder einer Online-Plattform könne man, so der AL-Gemeinderat weiter, auf die Nutzung verzichten, wenn man sich von der Werbung gestört fühle. Bei der «Verschandelung» des öffentlichen Raums könne man nicht ausweichen.
Stadtrat André Odermatt sprach sich klar gegen ein Verbot aus. Die Vorstellung, man könne mit einem Werbeverbot Gesellschaft und Klima retten, sei überspitzt. Auch die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum werde nicht wesentlich beeinträchtigt. «Werbung gehört zur Stadt. Plakate sind Ausdruck einer lebendigen Stadt.»
Sie solle aber nicht überborden, so André Odermatt im Gemeinderat weiter, daher gebe es Vorgaben fürs Installieren von Werbeflächen im öffentlichen Raum. Zürich habe im Unterscheid zu anderen Städten ein «strenges Regime».
Aus der Bevölkerung gebe es fast keine Reklamationen, so der Stadtrat weiter. Ein Verbot würde nur zu Verschiebungen führen, zum Beispiel in den Bahnhof. Ein Werbeverbot wäre ein «klares Eigengoal».
Auch Nicolas Cavalli wehrte sich klar gegen das Ansinnen: «Es ist ein Kulturgut. Wir stehen hinter der Werbung», sagte der GLP-Gemeinderat zu dem «100 Prozent ideologisch und wirtschaftsfeindlich getriebenen Vorstoss». Auch Gemeinderat Stefan Reusser sprach sich im Namen der EVP-Fraktion gegen ein Werbeverbot aus.
Die SP-Fraktion unterstützte den Vorstoss, wie Gemeinderätin Anna Graff ausführte, und brachte eine Textänderung ein. Gerade die dynamischen Werbeflächen würden den öffentlichen Raum «besonders invasiv kommerzialisieren». Sekundiert wurde Graff von den Grünen, unter anderem von Dominik Waser.
SP-Gemeinderätin Anjushka Früh meinte, das Verbot setze ein «starkes Signal für eine lebenswertere und nachhaltigere Stadt».
Es gehe der Werbung nicht um «Manipulation», sondern «Information», rief Partrik Brunner sichtlich bewegt in den Saal. «Retten Sie die Stadt Zürich», schloss der FDP-Gemeinderat sein Votum. Auch SVP-Mann Bernhard im Oberdorf machte sich für den Informationscharakter von Werbung stark, zum Beispiel, wenn er auf ein Konzert aufmerksam gemacht werde.
Das Werbeverbot bewirke in puncto Klimaschutz so gut wie nichts, sagte Samuel Balsiger. Die ganze Debatte sei «nur heisse Luft», angeheizt besonders für die «linken Gefolgschaften auf der Tribüne» des Gemeinderatssaals, so der SVP-Gemeinderat.
Der heiss umstrittene Vorstoss, den die Alternative Liste 2024 lanciert hatte, verlangt gemäss Motionstext namentlich eine «deutliche Reduktion der Reklameflächen» auf Stadtboden.
Ausgenommen von dem Quasi-Verbot wären einzig Aushänge von Geschäften vor Ort, Werbung für lokale Veranstaltungen, für unkommerzielle Angebote oder zum Zweck der politischen Meinungsfindung. Auch die Behörden dürften gemäss der Motion weiterhin über Plakate Informationen unter die Leute bringen.
Werbe-Screens und «Reklamen mit dynamischem Inhalt» wären dagegen ausnahmslos verboten.
Für das Defacto-Verbot weibelte im Vorfeld der Gemeinderatssitzung bereits Christian Hänggi, Präsident der IG Plakat Raum Gesellschaft. In einer Mail an die Gemeinderatsmitglieder, die dem Klein Report vorliegt, forderte Hänggi den Gemeinderat auf, der «grassierenden Aussenwerbung in Zürich einen Riegel zu schieben».
In den letzten Jahren hätten das Hochbaudepartement und das Departement der Industriellen Betriebe die «kühnsten Wünsche der Werbeindustrie» erfüllt, so der umtriebige Werbekritiker weiter in seiner Mail an die Mitglieder des Zürcher Gemeinderats.
Aufgrund der «jahrelangen Pro-Werbung-Agenda der Exekutive und ihrer Unfähigkeit, die Einhaltung der Betriebsregeln für Werbescreens sicherzustellen», hat die IG Plakat Raum Gesellschaft im Oktober 2024 eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht. Diese ist noch nicht beantwortet.
Zudem läuft in der Stadt Zürich zurzeit eine Kampagne für ein «werbefreies Züri». Auf Klebern, die unter anderem an Strassenlaternen angeklebt sind, kommt man via QR-Code auf das Kampagnenforum von Campax. Dort werden für eine Petition Unterschriften gesammelt.
«Solange Werbung uns zum übermässigen Konsum verleitet, wird es schwierig, die Klimaziele der Stadt zu erreichen», ist da zu lesen. Die Petition verlangt ein Verbot kommerzieller Werbung, um den «unnötigen Konsum» zu reduzieren und die Treibhausgasemissionen zu senken.
Gemäss Recherchen des Klein Reports wird im Umfeld dieser Klebeaktion ermittelt.