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Donnerstag
10.10.2002

Den Lesern der «Berliner Morgenpost» wurde vor einigen Tagen auf der Titelseite «Ungewöhnliches» angekündigt. Der Hinweis galt einer 20-seitigen Anzeige des Autoherstellers Audi, die auf Seite drei im ersten «Zeitungsbuch» folgte. Im zweiten Zeitungsbuch versetzte die zum Axel Springer Verlag (ASV) gehörende «MoPo» ihre Leser erneut ins Staunen, weil sie die volle Titelseite nochmals druckte. Das Ziel der Aktion war klar: Auf die Audi-Werbung, die wie üblich als «Anzeigenbuch» am selben Tag auch anderen grossen Blättern beilag, sollte zusätzliche Aufmerksamkeit gelenkt werden.

Es habe sich um ein «ganz spezielles Angebot der Anzeigenabteilung für die Kunden» gehandelt, sagte ASV-Sprecherin Carola Schmidt. Vor einem Jahr hatte das Schwesterblatt der «Morgenpost», die mit ihr zusammengelegte überregionale «Welt», mit einer anderen Werbeform Pressegeschichte geschrieben. Für eine Anzeige des Onlineanbieters AOL liess sich das Blatt auf der Titelseite blau einfärben. Die neuartigen Vermarktungsstrategien bei den Springer-Blättern sind kein Einzelfall: «Die Verlage gehen mit Sonderwerbeformen offensiver um», stellt Jochen Wilhelm von der verlegereigenen Zeitungs Marketing Gesellschaft (ZMG/Frankfurt/Main) fest. Dies sei aber eine Entwicklung, die nicht nur durch die Krise - die Branche verzeichnete in diesem Jahr wie bereits 2001 zweistellige Einbrüche im Anzeigengeschäft - bestimmt werde.

Ähnliche Tendenzen gibt es auch in der Schweiz: Die Pendlerzeitung «20 Minuten» hat verschiedentlich ihre ersten beiden Seiten an Inserenten verkauft, worauf dann erst auf Seite 3 der redaktionelle Teil begann. Und vergangene Woche ist das Nachrichtenmagazin «Facts» mit einer Frontpage erschienen, die sich nach mehrmaligem Ausklappen zu einem zehnseitigen Grossinserat vergrössern liess.

Das ist aber noch längst nicht alles: Nach einer ZMG-Umfrage arbeiten über die Hälfte der befragten deutschen Zeitungsverlage inzwischen mit Anzeigen in der unteren Griffecke der Titelseite oder mit Anzeigen in besonderen Schattierungen («Shadow-Print»). Mehr als 80 Prozent schalten «Insel-Anzeigen», die im redaktionellen Teil gestreut sind und so genannte Tunnelanzeigen, die links, rechts und darüber in redaktionellen Inhalten eingebunden sind. Solche Werbeformen dürften jedoch nicht überstrapaziert werden, sagt Wilhelm. «Man darf nicht zu weit gehen, die hohe Glaubwürdigkeit des Mediums Zeitung muss gewahrt bleiben.»