Der «Beobachter»-Redaktor Yves Demuth ist für eine Recherche zu Schweizer Zwangsarbeiterinnen mit dem Prix Transparence ausgezeichnet worden.
Der Klein Report sprach mit Demuth über die Tücken seiner Recherche in einem dunklen Kapitel der Schweizer Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Wie hat die Recherche begonnen?
Yves Demuth: «Am Anfang standen zwei Betroffene, die in den 1960er-Jahren von Fürsorgebehörden ins Fabrikheim in Walzenhausen AR eingewiesen worden waren. Sie erzählten von Zwangsarbeit in umliegenden Fabriken und einer Arrestzelle im Heim. Mithilfe ihrer Akten, Aussagen von Zeitzeugen sowie Archivdokumenten konnte ich den Missstand belegen.»
Wieso brauchte es dazu das Öffentlichkeitsgesetz?
Demuth: «Eine Datenbank im Bundesarchiv war für mich wichtig, um abzuschätzen, wie das Heim in den damaligen Zwangsmassnahmenapparat eingebunden war. Zwei Forschende hatten innerhalb eines Nationalfondsprojekts erstellt, wie viele jenische Teenager in welchen Heimen und zu welchem Zeitpunkt interniert worden waren. Es ist die vielleicht beste Datengrundlage für Recherchen zu fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, weil die Datenbank das Ausmass für eine Opfergruppe klar belegt. Doch das Bundesarchiv wollte keine exakten Zahlen liefern.»
Wie begründete das Bundesarchiv die Verweigerung, auf die Datenbank zugreifen zu können?
Yves Demuth: «Ich wollte bloss aggregierte und anonymisierte Daten erhalten, nicht die Datenbank einsehen. Ich wollte also einfach eine exakte Zahl erhalten: Wie viele jenische Teenagerinnen hat das ‚Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse‘ ins Fabrikheim Walzenhausen gesteckt und in andere Heime? Doch das Bundesarchiv sagte anfänglich, eine solche Zahl könne die Privatsphäre der Betroffenen beinträchtigen. Dieses Datenschutz-Argument fand ich lächerlich.»
Wie gingen Sie daraufhin vor?
Demuth: «Die Schlichtungsverhandlung beim Eidgenössischen Öffentlichkeitsbeauftragten brachte zuerst nur einen lauen Kompromiss. Weil sich danach Uschi Waser von der Stiftung Naschet Jenische sowie die Forscherin Sara Galle und der Forscher Thomas Meier mit pointierten Statements für mehr Transparenz eingesetzt haben, gab das Bundesarchiv die Daten doch noch frei. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Das hat mich auch versöhnlich gestimmt gegenüber dem Bundesarchiv.»
Nun sind Sie für ihre Recherche mit dem Prix Transparence ausgezeichnet worden. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?
Yves Demuth: «Sie freut mich sehr. Ich habe das Öffentlichkeitsgesetz als Ergänzung meiner anderen Rechercheansätze eingesetzt. Das kann ich sehr empfehlen.»
Ist das Thema Zwangsarbeit damit für den Beobachter erledigt?
Demuth: «Nein. Die Recherchen zur Zwangsarbeit haben ja dazu geführt, dass die Stadt Zürich den Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen nun je 25’000 Franken bezahlen will. Da bleiben wir dran. Zudem erscheint im April mein Buch ‚Schweizer Zwangsarbeiterinnen‘, das weitere Heime und Betroffene ins Licht rückt.»
Wie haben sie für das Buch recherchiert?
Yves Demuth: «Ich habe unbezahlten Urlaub genommen und in den letzten eineinhalb Jahren viele Betroffene getroffen sowie Archive besucht.»
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Ihres Buches und wie würden Sie diese journalistisch einordnen?
Demuth: «Das möchte ich hier noch nicht vorwegnehmen. Und die politische Einordnung überlasse ich dann gerne den Politikerinnen und Politikern.»