Eines ist für Camille Roseau klar wie Glas: Die Medien müssen ihre Geschäftsgrundlage komplett neu denken, wenn sie eine Zukunft haben wollen.
Der Klein Report sprach mit der Marketing-Co-Verantwortlichen der «Wochenzeitung» (WOZ) über alte und neue Geschäftsmodelle, den notorischen Frauenmangel bei den Verlegerrunden und über den spürbaren Klimawandel in der Schweizer Medienpolitik nach dem Scheitern des Medienpaketes im Februar 2022 und mit dem neuen Medienminister Albert Rösti.
Nebst ihrem Job bei der WOZ ist Camille Roseau Co-Präsidentin des Verbands Medien mit Zukunft, Präsidentin des Journafonds sowie VR-Präsidentin der Radio Stadtfilter AG. Sie hält ein Verwaltungsratsmandat beim Rotpunktverlag. In der SP engagiert sie sich in einer medienpolitischen Subkommission.
Das Scheitern des Medienförderpakets an der Urne war für Ihren Verband ein herber Schlag. Wie ging die medienpolitische Agenda des VMZ nach dem 13. Februar 2022 weiter?
Camille Roseau: «Nach der Abstimmung habe ich mich weiterhin als Co-Präsidentin des VMZ in die Debatte eingebracht, namentlich im Mediendialog des Bundes mit Bundesrätin Sommaruga, Vertretern und Vertreterinnen des Uvek und des Bakom und mit Interessensvertretern und -vertreterinnen der Medienbranche. In der Regel sind an den Verlegerrunden wenige Frauen, wenige Gewerkschaftsmitglieder, und Mitglieder der SP sind dort eher selten anzutreffen. Interessant sind sie ‚einewäg‘, weil ich sehe, wie gleich und doch anders unsere Branchenanalysen jeweils sind.»
Nämlich ...?
Roseau: «Es geht mir nicht um die Gewerkschafts- und Parteizugehörigkeit der Anwesenden, sondern darum, wie divers die Perspektiven derer sind, die sich mit Medienökonomie beschäftigen. Denn das Verlagswesen ist eben keine Wirtschaftsbranche wie jede andere und es reicht nicht, wenn Manager sich treffen, um die Quartalszahlen zu besprechen. Es geht in unserer Branche auch um die Zukunft der Demokratie. Die grundsätzlichen Befunde, die wir jeweils in Verlegerrunden austauschen, sind meist die gleichen. Der Journalismus steckt in einer tiefen Krise, sowohl auf dem Leser- und Leserinnen- wie auch auf dem Werbemarkt. So oder so ähnlich formulieren es die meisten Anwesenden. Uns eint sicher der Einsatz für unsere Branche.»
Und an welchen Stellen scheiden sich aus Ihrer Sicht die Geister?
Camille Roseau: «Verschieden sind jeweils die mitgedachten Stakeholder und die Lösungsansätze, die vertreten werden. Ich bin davon überzeugt, dass wir unsere Geschäftsmodelle komplett neu denken müssen, und dazu gehört meiner Meinung nach auch eine medienneutrale öffentliche Förderung. Diese Forderung ist dort in der Minderheit. Eher schaut man dort nach ‚low hanging fruits‘ wie der Posttaxenverbilligung, die ich als klientelorientierte Pflästerlipolitik bezeichnen würde. Die Perspektive der Medienschaffenden kommt dort tendenziell zu kurz, da die Gespräche auf die Gewinnorientierung konzentriert sind. Ich finde das jeweils zu eindimensional ...»
... nun ja, wenn kein Geld reinkommt, ist auch kein Journalismus möglich ...
Roseau: «Natürlich finde ich auch, dass der Journalismus kein Geschäftsmodell mehr hat, es ihn aber trotzdem für eine starke Demokratie und lebendige Zivilgesellschaft braucht. Und wir dieses Problem lösen müssen, sodass es für alle ‚verhebt‘ und wir der gesamten Bevölkerung ein Informationsangebot machen können, das seinen Namen verdient. Beim VMZ arbeiten wir zusammen mit Medienunternehmen, Forschern und Forscherinnen, Stiftungen und der Zivilgesellschaft an neuen Lösungen. Doch wenn wir nachhaltige Innovation möchten, braucht es auch grosse Verlagshäuser.»
Seit dem Scheitern des Medienpakets wird das Leistungsschutzrecht als Hoffnung gehandelt, besonders von den grösseren Verlagen und dem Verband Schweizer Medien. Ihr Verband dagegen bekämpft die Forderung. Weshalb?
Camille Roseau: «Das Leistungsschutzrecht verdrängt verschiedene, schwer notwendige Debatten, weil die Aufmerksamkeit in Sachen Medienpolitik begrenzt ist. Zur Seite geschoben werden dabei eine vernünftige KI-Regulierung, eine Plattformregulierung und das Aufgleisen einer zeitgemässen vektorneutralen Medienförderung. Zudem birgt die Vorlage besonders für die kleinen Verlage erhebliche Gefahren, etwa durch die Auslistung grosser Konzerne wie Google.»
Sie sind in verschiedenen Funktionen in der Medienbranche aktiv, beruflich beim WOZ-Verlag, auf Verbandsebene beim VMZ sowie politisch in der SP. Was ist für Sie das Interessante an den Medien – und der Medienkrise?
Roseau: «Ich arbeite seit über 15 Jahren bei der einzigen linken Deutschschweizer Wochenzeitung der Schweiz – ich kenne die Herausforderungen, denen Redaktionen tagtäglich begegnen. Innovation ist für die WOZ kein Fremdwort, denn sonst würde es uns schon längst nicht mehr geben. Gleichzeitig sehe ich, dass wir viele Herausforderungen nicht alleine angehen können, weswegen wir uns zusammen mit anderen unabhängigen Medien zum Verband Medien mit Zukunft – dem VMZ – zusammengeschlossen haben. Leider muss ich feststellen, dass Medienpolitik links von der SVP etwas aus der Mode gekommen ist – irgendwie paradox, denn noch nie waren starke Medien wegen der Gefahr der Desinformation so wichtig. Mich motivieren jeden Tag meine Kollegen und Kolleginnen, die teils unter schwierigen Bedingungen den Mächtigen auf die Finger schauen.»
Als studierte Buch- und Verlagswirtin mit einem zusätzlichen Diplom in Public- und Non-Profit-Management haben Sie vermutlich einen anderen Blick auf die derzeitige Medienkrise als mancher «klassische» Medienmanager. Wie schauen aus Ihrer Sicht tragfähige Geschäftsmodelle für Medien der Zukunft aus?
Camille Roseau: «Ich glaube, wir werden als Branche nicht umhin kommen, jeweils auf die Situation der Medien zugeschnittene Mixfinanzierungen anzustreben, um möglichst resilient zu sein. Dabei kommen private und öffentliche Quellen in Frage – entscheidend ist, dass kein Durchgriff von den Geldgebern auf die Medienschaffenden möglich ist. So weit, so Binsenweisheit ...».
Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür?
Roseau: «Ich finde den Ansatz des Non-Profit-Journalismus aus Deutschland eine interessante Sache, der auch steuerliche Vergünstigungen beinhaltet. Es geht darum, eine neue Finanzierungslogik zu finden, die über Leserinnen und Inserentenmarkt hinausgeht und sich aus dem Baukasten der NGOs gezielt bedient in Sachen Kommunikation der eigenen gesellschaftlichen Leistung, Fundraising, Community Management. Auch Stiftungsfinanzierung kann da eine Rolle spielen.»
Wie kam es eigentlich, dass Sie sich für die Medienwelt entschieden haben nach dem Studium? War das schon früh klar?
Camille Roseau: «Zuerst wollte ich einfach einen Beruf haben, mit dem ich mich selbst über Wasser halten kann – darum das Kaufmännische. Und dann habe ich mich immer schon für Politik interessiert, für gesellschaftliche Fragen, für das Miteinander. Und gern gelesen habe ich auch schon seit jeher. Und dann habe ich einen Beruf gefunden, in dem ich das alles verbinden kann.»
Mit dem Wechsel von Simonetta Sommaruga zu Albert Rösti als Medienminister bläst heute ein anderer Wind in der Medienpolitik. Wo und wie spüren Sie das veränderte Klima?
Roseau: «Sommaruga ging nach einer schweren Niederlage für die Medienbranche. Neue konstruktive Ansätze in der Medienpolitik sehe ich seitdem keine. Momentan spielt sich die Debatte um den Service public ab und das indirekte Gegenprojekt ist ein riesiges Zugeständnis an die Halbierungsinitiative. Wenn nicht mal mehr der Bundesrat die SRG verteidigt, wer denn dann? Manche Medienkonzerne gehen davon aus, dass eine geschwächte SRG für mehr Profite sorgen wird, doch ich bin überzeugt: Weniger medialer Service public wird eine noch grössere Krise auf dem Leser- und Leserinnenmarkt bedeuten, vor allem in Zeiten massiver KI-getriebener Desinformation. Ob Private oder Öffentliche, wir müssen zusammenspannen, um vertrauenswürdige Information zu gewährleisten, wenn wir wollen, dass unsere Demokratie resilient bleibt. Die Politik muss das endlich erkennen.»
Und wie sehen Sie konkret die Zukunft der WOZ in fünf oder zehn Jahren?
Camille Roseau: «Die WOZ sehe ich auch in Zukunft als Ort für journalistische Arbeit mit einer klar nachvollziehbaren Haltung. Als Genossenschaft, die es geschafft hat, den digitalen Wandel in Produktion und Publizistik zu bewältigen, und die nachhaltig finanziert ist. Ich hoffe, dass Schweizer Medienhäuser in Zukunft mehr zu ihrer Ausrichtung stehen und diese den Lesern und Leserinnen somit transparenter machen. Denn wir werden unsere Branche nur retten können, indem wir unsere Arbeit und unsere Annahmen nachvollziehbar machen.»
Im MediaToo-Fall bezüglich des «Republik»-Journalisten, der vor seiner Zeit beim Onlinemagazin auch längere Zeit bei der WOZ gearbeitet hat, sei es ein offenes Geheimnis gewesen, dass er sich schon öfters übergriffig verhalten habe. Wie ist das für Sie abgelaufen?
Roseau: «Die WOZ hat erst durch die Sendung ‚Medientalk‘ von Radio SRF 4 News von einem mutmasslichen Fehlverhalten im Jahr 2014 erfahren. Die damalige wie auch die aktuelle Redaktionsleitung und Geschäftsleitung hatten bis dahin keine Kenntnis von den Vorwürfen. Auch bei der internen Personalombudsstelle für Konfliktfälle sind dazu nie irgendwelche Hinweise eingegangen. Ich bin sehr froh, dass wir mit Claudia Kaufmann (der ehemaligen Ombudsfrau der Stadt Zürich) eine Fachperson gefunden haben für eine unabhängige Untersuchung. Eine solche Aufarbeitung ist wichtig für alle direkt und indirekt Betroffenen und Beteiligten. Und für uns als Betrieb.»