Über 300 Gäste strömten am Donnerstagabend ins Zürcher Lake Side zum legendären Wirz Cocktail - dem 33. inzwischen - und dem anspruchsvollen Themenabend «Deutsche Sprache: Note ungenügend?» Nach einem Apertif mit Speck-Pflaumen-Spiessli und anderen Spezereien führte Jost Wirz, Mehrheitsaktionär der Wirz Partner Holding AG, zum Panel-Gespräch über und stellte dem Publikum aus Werbe- und Medienszene seine Podiumsgäste vor: Eva Gerber, Sozialwissenschaftlerin und ehemalige Kantonsrätin in Solothurn; Karl Lüönd, Leiter Medieninstitut Verband Schweizer Presse; Peter von Matt, emeritierter Professor für neuere deutsche Literatur und Stephan Müller, Regisseur und Dramaturg. Moderatorin Eva Wannenmacher meinte gleich zu Beginn: «Wollen wir nun Schweizerdeutsch oder Hochdeutsch sprechen?» Eine delikate Frage. Die Muttersprache, so Theatermann Müller, sei die Sprache der Küche und des Hauses, während die Vatersprache diejenige für die Berufswelt sei. «Ich kann eine intellektuelle Leistung besser auf Hochdeutsch vollbringen. Meine Bitte: Lasst zumindest mich Hochdeutsch sprechen.» Die Gesprächsrunde schloss sich dem Vorschlag an. Mehrere Themen standen im Zentrum der angeregten und von etlichen Lachern begleiteten Diskussion: Ist die deutsche Sprache am Verludern? Warum haben Lehrer im Gegensatz zu früher eine depressive oder zumindest melancholische Struktur? Weshalb sparen Tageszeitungen Korrektoren ein? Leben wir in der Hochsaison der Schwachsinnigkeit? Und sind Ludersprachen nicht vielmehr eine Bereicherung? Die Positionen waren so unterschiedlich wie die Podiumsgäste selbst. Einige Ausschnitte des Gesprächs, das ab Montag auf www.wirz.ch in voller Länge mitzuhören ist.
Gerber: «Die Sprache verludert nicht, sie verändert sich... Ich will die Sprache nicht als Fetisch hochhalten». Lüönd: «Einverstanden. Die Sprache wird gebraucht und nützt sich auch ab. Der Takt des Sprachgebrauchs ist schneller geworden... Die Leute müssen schneller schreiben als sie reden können.» Von Matt: «Das ist ein komplexes Thema. Es gibt Problemzonen in diesem Zusammenhang... Entweder gehört man zur Sprachelite dazu oder nicht. Die wirkliche Beherrschung der Sprache ist eine Qualität, die man erreichen kann.» Müller: «Hey, Mann, gömmer Migros? Dieser Satz ist eine kulturelle Leistung. Wer einen solchen Satz sagt, hat eine Neusprache entwickelt und ist eigentlich ein Poet. Gemeint ist damit: Lasst uns was ganz Subversives unternehmen. Die Migros ist ja kein Verb, steht aber fürs Einkaufen und fürs Klauen. Ich nenne es mal die Ludersprache, die eine bewusst verbale Auflehnung gegen die Benimmsprache ist.» Wannenmacher: Nur Anarchie, das geht doch nicht. Ist die Banalisierung der Sprache erfunden oder gibt es sie tatsächlich? Müller: «Ich habe gestern ein Paar Deutschlehrer gefragt, was mit dem Genitiv los sei. Sie meinten, dass ihnen der Genitiv absolut abhanden gekommen sei und der Dativ nun auch drohe, abhanden zu kommen. Warum?» Von Matt: «Schon in den späten 50ern haben wir über das Genitivsterben gesprochen... Viele Sprachveränderungen haben einen Grund: Der Genitiv ist teilweise so kompliziert, dass man ihn ersetzt hat... Ich bin ein Verehrer des Genitivs.» Wannenmacher: Und was ist mit der Orthografie? Von Matt: «Die Orthografie ist so wichtig wie die Kleidung. Wenn sie mit einer weisen Bluse und einem grossen Ketchup-Flecken an der Brust das Haus verlassen und dann noch damit am Fernsehen auftreten, dann machen sie sich unmöglich.» Lüönd: «Hey, Mann, gömmer Migros? Das ist doch der ideale Kommunikator, der so etwas sagt. Eine sekundenschnelle Botschaft an eine Zielgruppe bringen: Besser kann mans fast nicht machen.» Gerber: «Ich habe beim Winnetouschauen Hochdeutsch gelernt. Da haben wir Szenen aus dem Film nachgespielt...»
Natürlich kamen auch die Medien zur Sprache, beispielsweise das Einsparen von Korrektoren (ebenso Lektoren), das verheerende Folgen mit sich bringt, wie Lüönd an einigen Beispielen veranschaulichte. Oder die Werbung: Plakate ohne Genitiv - weit und breit kein Dativ. «Doch im Haus des Henkers soll man nicht über den Strick sprechen», so von Matt. Mit «Hey, Mann, gömmer Cocktail», beendete Wannenmacher das Gespräch, das durchaus ein wenig länger hätte dauern können.
Donnerstag
20.11.2003