«Entscheidend für den Erfolg der Revolution ist nach wie vor die persönliche Risikobereitschaft», sagt Philip Rizk. Der deutsch-ägyptische Journalist, Blogger und Filmemacher schilderte bei einer Tagung des Deutschlandfunks in Köln am Wochenende, wie die Revolution in Ägypten im Frühjahr 2011 ins Laufen kam und wie die Lage heute ist. Marlis Prinzing, Journalistikprofessorin in Köln und Journalistin, berichtet für den Klein Report.
Twitter-Revolution, Facebook-Revolution, digitale Revolution - insbesondere in westlichen Ländern waren sich viele Journalisten rasch einig: Neue Medien und soziale Netzwerke haben den Arabischen Frühling möglich gemacht. «Ich bin mir da nicht so sicher», sagt einer, der mitten drin war und ist: Philip Rizk beschreibt eher eine Art «Revolution zu Fuss». Die Bewegung an jenem 28. Januar 2011, die aller Welt zeigte, dass sich offenbar die politische Welt in Ägypten zu verändern begann, fing an als Gang durch die Stadtviertel in Kairo. Aufgrund einer Grossdemonstrationen drei Tage zuvor hatte der Staat die Netzverbindungen gekappt: Kein Twitter, kein Facebook, kein Handy funktionierte. Rizk ging mit einer Gruppe von anfangs 50 Leuten durch eines der ärmeren Viertel in Kairo. Sie marschierten drei, vier Stunden lang, riefen die Leute runter auf die Strasse, es wurden dreitausend, irgendwann fünfzehntausend, die dann Richtung Tahrir-Platz gingen, Richtung Befreiungsplatz, es wurden mehr und noch mehr Demonstranten - Bauern, Arbeiter, Intellektuelle.
Auch aus Wissenschaftsperspektive wird bestätigt, dass die Wirkung der Technik auf politische Umstürze immer wieder überschätzt wird. Alle paar Jahre schreibt man irgendeiner technischen Neuerung revolutionäres Potenzial zu, erklärt Christian Christensen, Medienprofessor an der Universität Uppsala (Schweden). Auf Faxgeräte folgten Modems und Laptops, heute sind es Blogs und Twitter, denen Journalisten eine hohe Wirkungsmacht für den Wandel in der Welt zutrauen, obwohl zumindest das behauptete Ausmass nicht belegbar sei. Das bedeute nicht, dass das Internet keine Rolle spiele, sagt Christensen. Aber man müsse auch die gesellschaftlichen Verhältnisse ansehen, um den tatsächlichen Einfluss zu ermessen.
Rizk bestätigt das. Das Internet helfe beim Organisieren von Demonstrationen. Aber viele, die auf den Tahrir-Platz gingen, haben nie ins Internet gesehen, oft hätten sie gar keinen Zugang. Das Internet sei für diese Bewegung eines von vielen Medien, und zwar eher das Medium einer speziellen Elite, die sich über persönliche, kleine Netzwerke von oft nur zwanzig Personen organisiert und verknüpft. Rizk gehört zu den rührigen politischen Aktivisten, er agiert multimedial. Er filmt Ausschreitungen, interviewt Gefolterte und zeigt solche Filme in den Wohnvierteln vor ein paar Hundert Leuten, an die er Filmkopien auf CD verteilt, damit sie die Bilder weiterverbreiten und damit das, was im Land wirklich geschieht. Denn solche Bilder zeige das Staatsfernsehen nicht.
Der Kampf für mehr Demokratie sei noch lange nicht gewonnen, sagt Rizk. Der ehemalige Präsident Muhammad Husni Mubarak ist zwar vertrieben, doch das Militär handle ähnlich, auch die Medien im Land haben sich nicht wirklich verändert, viele Journalisten seien eingeschüchtert, die Deutungshoheit liege weiterhin bei den Regierenden. «Die persönliche Risikobereitschaft bleibt entscheidend» dafür, wie diese Revolution weitergeht. Ihn schütze einigermassen seine relative Prominenz als Aktivist und Blogger. Die Regierung sei aber weiterhin bereit, den Widerstand mit Gewalt zu bekämpfen. Und: «Viele Waffen, mit denen auf unsereins geschossen wird, kommen aus den europäischen Modelldemokratien.» Aus denselben Ländern, in denen man sich über die Demokratiebewegung ja angeblich freut ...