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Donnerstag
28.01.2016

Vermarktung

Die Förderung von Innovation in der Schweiz ist für Martin Radelfinger, Innovation and Business Development Goldbach Group, von entscheidender Bedeutung. In einem Gastbeitrag für den Klein Report erklärt er, weshalb ihm dieses Thema so am Herzen liegt und was die Schweiz von Tech-Guru Marc Andreessen alles lernen kann.

Das im Jahr 2011 im «Wall Street Journal» unter dem Titel «Why Software is Eating the World» publizierte Interview mit Marc Andreessen ist im Silicon Valley Pflichtlektüre. Marc Andreessen war Mitgründer von Netscape und Entwickler des Mosaic Browsers, einem der ersten international weitverbreiteten Webbrowsern. Nach einem erfolgreichen Börsengang wurde Netscape 1999 für 4,2 Milliarden US-Dollar von AOL gekauft - 4,2 Milliarden Dollar waren 1999 noch viel Geld!

2009 gründete Andreessen das Venture-Capital-Unternehmen Andreessen Horowitz mit einer Kapitalisierung von 300 Millionen Dollar und steigerte das Investitionsvolumen durch Beteiligungen an Facebook, Foursquare, Zynga, Pinterest und Twitter in nur drei Jahren auf 2,7 Milliarden Dollar.

Aufgrund dieses Leistungsausweises lohnt es sich, Andreessens bereits 1999 formulierte Gedanken darüber, wie Software und die mit dem Internet mögliche Vernetzung gesamte Geschäftsmodelle revolutioniert oder gemäss der neueren Internetterminologie zersetzt, aus heutiger Perspektive zu reflektieren.

Die kontinuierliche Zersetzung gestandener Geschäftsmodelle ist nicht nur für Medienunternehmen sowie für Vermarkter und Vermittler von Werbeplätzen zur Normalität geworden. So können wir heute schon fast lakonisch auf die radikale Disintermediation im Buchhandel, in der Reisebranche, in der Musikindustrie oder, um ein branchennahes Beispiel aufzuführen, im Geschäft mit Kleinanzeigen zurückblicken.

Die folgenden Auszüge aus Marc Andreessens Interview «Why Software is Eating the Wold» mit dem «Wall Street Journal» sollen dazu dienen, unser Sensorium für das Erkennen von solch disruptiven Entwicklungen am Horizont zu schärfen.

Die teilweise absurd anmutenden Bewertungen von Internetunternehmen wie Twitter oder WhatsApp sind ein guter Ausgangspunkt für einen Blick zurück ins Jahr 1999.

In seiner Stellungnahme zur Frage, ob Internetunternehmen heute nicht ähnlich überbewertet sind wie zum Höhepunkt der Dotcom-Blase, argumentiert Andreessen, dass sich die Debatte immer noch um die finanzielle Bewertung und nicht um die den neuen Silicon-Valley-Unternehmen zugrunde liegenden inneren Werte dreht.

Schon 1999 prognostizierte Andreessen einen dramatischen sowie breiten technologischen und wirtschaftlichen Wandel. Dies aufgrund der Fähigkeit und Bereitschaft der Softwareindustrie, immer grössere Wirtschaftszweige durch den Einsatz von Software radikal zu verändern. Er sagte die Invasion von etablierten Branchenstrukturen durch die innovativsten Unternehmen im Silicon Valley sowie die massive Zersetzung von konventionellen Geschäftsmodellen voraus.

Interessant sind Andreessens Ausführungen darüber, warum sich diese Entwicklung sechs Jahrzehnte nach der Computerrevolution, vier Jahrzehnte nach Erfindung des Mikroprozessors und zwei Jahrzehnte nach Entstehung des modernen Internets massiv beschleunigt. Andreessen ortet in diesen Entwicklungen die erforderlichen Voraussetzungen, um ganze Industrien durch Software zu transformieren.

Andreessens Prognose, dass in den nächsten zehn Jahren mindestens fünf Milliarden Menschen Breitbandinternet nutzen und über fünf Milliarden Menschen Smartphones besitzen werden, muten angesichts der effektiven Entwicklung schon fast bescheiden an. Hinter diesen Internet-Clients stehen Applikationen und internetbasierte Dienste, die es softwaregetriebenen Start-ups ermöglichen, sich ohne grosse Investitionen in Infrastruktur global auszubreiten. Am aktuellen Beispiel von WhatsApp mit 450 Millionen Nutzern und einem täglichen Zuwachs von einer Million Nutzern lässt sich diese Logik nachvollziehen. WhatsApp beschäftigt 49 Mitarbeiter und wurde für 16 Milliarden Dollar plus 3 Milliarden Dollar in Aktien von Facebook übernommen.

Andreessen kommentiert auch den Niedergang von Borders, einem der grössten amerikanischen Buchhändler, der aufgrund seiner fatalen Fehleinschätzung, dass Online-Handel kein strategisches Geschäft sei, diesen Bereich an Amazon übertragen hat.

Als weiteres Beispiel dieser Transformation führt Andreessen das zum grössten Video-Service avancierte Softwareunternehmen Netflix an. Dass Netflix Blockbuster verdrängt hat, ist eine alte Geschichte, aber dass jetzt die grossen traditionellen Entertainmentanbieter wie Comcast oder Time Warner mit massiv disruptiven Entwicklungen zu kämpfen haben, manifestiert sich in der Transformation dieser Unternehmen zu Softwareunternehmen, die ihre Inhalte von der physischen Kabelinfrastruktur trennen und auf alle Endgeräte verbreiten.

Die Musikindustrie scheint sich erst jetzt, nach 15 Jahren Zersetzung durch Unternehmen wie Apple, Spotify oder Pandora, zu stabilisieren.

Andreessen führt in seinem Interview durch eine Liste von Geschäftsmodellen, die durch Software transformiert wurden. Angeführt von Google als grösster Direktmarketing-Plattform über Skype als am schnellsten wachsendes Telecom-Unternehmen bis zu LinkedIn als führende Recruitment-Plattform. Andreessen kommentiert aber auch die durch Software getriebenen Veränderungen innerhalb von Branchen, welche mit realen physischen Gütern wie Öl und Gas handeln, oder Fluggesellschaften und Transportlogistiker.

Die Grundvoraussetzungen für den Erfolg des Silicon Valleys ortet Andreessen in der Kombination von  grossen Forschungsuniversitäten, einer risikobereiten Unternehmenskultur, den grossen Pools von Kapital auf der Suche nach neuen innovativen Geschäftsmodellen sowie einem zuverlässigen Geschäfts- und Vertragsrecht. Aus heutiger Perspektive müsste man wohl noch das stark multikulturelle Umfeld des Silicon Valleys und die konsequente Orientierung nach Asien als weitere Erfolgsfaktoren aufführen.

Die Schweiz wurde aktuell in einigen Studien erneut als einer der weltweit innovativsten Wirtschaftsräume bewertet. Angeführt werden beispielsweise die Anzahl angemeldeter Patente in Relation zur Bevölkerung, aber auch bei anderen Schlüsselindikatoren für Innovation führt die Schweiz die Weltrangliste an. Viele der von Andreessen aufgeführten Grundvoraussetzungen, um von den zersetzenden und transformativen Entwicklungen zu profitieren, sind in der Schweiz also bereits gegeben - an den grossen Risikokapitalpools und dem risikobereiten Unternehmertum hingegen arbeiten wir noch!

Angesichts der schweizerischen Tendenz zu Selbstzweifeln und einem Hang zur medialen Selbstpeinigung sollte uns Marc Andreessens «Wall Street Journal»-Interview dabei als Inspiration dienen.