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Donnerstag
05.12.2002

In der von Wirtschaftskrise und Zukunftsängsten geplagten Gesellschaft haben traditionelle Werte wie Familie und Freundschaft wieder Konjunktur. Das schlägt sich auch in der Werbung nieder. Um die Menschen zum Kauf von Handys, Margarine oder Versicherungen zu bewegen, setzen Anzeigengestalter und Werbefilmregisseure zunehmend auf Bilder von spielenden Kindern, glücklichen Müttern und Vätern oder jugendlichen Freundes-Cliquen. «Je unsicherer wir darüber sind, wie wir uns morgen bewegen werden, desto mehr suchen wir nach Dingen, die uns Sicherheit suggerieren», sagt Forscher Peter Wippermann, Geschäftsführer des Hamburger Trendbüros. Deshalb seien auch in der Werbung mittlerweile die Individualisten der Spassgesellschaft out.

«Der Werber ist der Seismograf der Gesellschaft», sagt Karen Heumann, Geschäftsführerin der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt. Die Kreativen nähmen Stimmungen in der Gesellschaft wahr und verarbeiteten sie in Spots oder Anzeigen. Eine Art Plädoyer für die Familie hat die Agentur Wieden + Kennedy aus Amsterdam für die HypoVereinsbank gestaltet: Sie arbeitet dabei etwa mit einem Foto von Kindern, die eine Wand voll gekritzelt haben. «Leben Sie, wir kümmern uns um die Details», lautet der Slogan der TV-Spots. Auf krabbelnde Kinder setzt auch Online-Anbieter AOL: «Die Menschen haben weniger Geld, konsumieren weniger und wenden sich stärker den sinnhaften Dingen zu», begründet der Europa-Chef der Werbeagentur Grey, Bernd M. Michael die für AOL gestaltete Kampagne.

«In einer kälter werdenden Gesellschaft ist Vertrautheit gefragt und das Gefühl, sich aufeinander verlassen zu können», sagt Michael Weigert. Seine Werbeagentur weigertpirouzwolf hat die Ikea-Kampagne «Zusammen machts mehr Spass zu Haus» entworfen. Das Möbelhaus zeigt in Zeitschriften-Anzeigen etwa lachende Menschen beim Wassermelonen- Essen und im Fernsehen einen Vater, der seine schlafenden Kinder zu wecken versucht. Nach Weigerts Beobachtungen wird die Werbung durch den Trend zu Alltagsszenen auch «authentischer» und weniger überzogen in der Darstellung. «Slapstick und vordergründige werbliche Überhöhungen sind nicht mehr gefragt», meint Weigert.

Trotz des zu beobachtenden «Perfect Past»-Syndroms - der Lust an einer verklärten Vergangenheit - hat Trendforscher Wippermann aber keine Wiederbelebung konservativer Weltanschauungen festgestellt. «Auch in der Werbung ist nicht unbedingt die `Stoiber-Familie` zu sehen, sondern viel mehr alle Formen der Patchwork-Familie.» Grafikdesigner und TV-Spotregisseure setzen auf allein erziehende Mütter, Hausmänner oder den Freundeskreis als Ersatz für die Familie. Zu viel Familie ist aber nach Ansicht der Jung von Matt-Geschäftsführerin Karen Heumann auch nicht gut: Das sei schon so ausgenützt, dass man damit besonders im Food-Bereich kaum noch auffallen könne.