Content:

Sonntag
03.01.2010

«Medien sind gefragter denn je. Rund sieben Stunden konsumieren erwachsene Schweizerinnen und Schweizer laut einer Publisuisse-Studie täglich Radio, Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften, Online-Angebote und anderes mehr. Das sind Fakten, welche die Medienwelt optimistisch stimmen müssten.» Mit diesen Worten beginnt Pietro Supino einen Gastkommentar in der Zeitung «Sonntag» vom 3. Januar.

Trotz dieser erfreulichen Nachfrage sei die Branche nicht sorgenfrei. Neben konjunkturellen Schwankungen, die sich im Anzeigengeschäft niederschlagen, stehe die Medienwelt mitten in einer strukturellen Veränderung, die durch die neuen Medien ausgelöst worden seien. «Das Internet hat den Informationsfluss nicht nur dramatisch beschleunigt, sondern auch die Beziehungen zwischen Vermittlern und Empfängern von Nachrichten grundlegend verändert», so der Verleger des Zürcher Tamedia-Konzerns. Als Beispiel nennt Supino Videoaufnahmen und Twitter-Posts aus dem Iran, die eindrücklich eine neue mediale Öffentlichkeit dokumentierten.

Löblicherweise spricht der Verleger des «Tages-Anzeigers» nicht von der grössten Rezession seit 50 Jahren und sonstigen angeblich nicht beeinflussbaren äusseren Faktoren, welche die satte Medienbranche aus dem Halbschlaf gerissen hat.

Pietro Supino fokussiert auf wirtschaftshistorische Parallelen und zieht einen Vergleich mit der schweizerischen Uhrenindustrie Anfang der 80er-Jahre, die durch die Entwicklung elektronischer Zeitmesser in eine strukturelle Krise geriet. Damals sank der Schweizer Anteil am Weltmarkt innerhalb von zehn Jahren von 40 auf 17 Prozent, wie Supino schreibt. «Das Beispiel der Uhrenbranche zeigt aber auch, wie verlorenes Terrain zurückzugewinnen ist. Mit den ersten Schweizer Quarzuhren wurde ein neues Standbein neben den Luxusuhren entwickelt. Die Swatch war nicht mehr nur Chronometer, sondern auch Modeaccessoire», so Supino weiter. Heute dienten Uhren als Wetterstation, Höhenmeter und Sicherheitssysteme, andere Geräte wie Mobiltelefone übernähmen zunehmend die Zeitanzeige.

«So verwegen der Vergleich sein mag - eine Uhr ist langlebig, eine Zeitung muss ihre Wertigkeit in einer kurzen Zeitspanne erweisen -, so bedenkenswert ist der Ansatz, in einem veränderten medialen Umfeld mit einem traditionellen Leistungsträger zusätzlichen Nutzen zu schaffen, um gegenüber neuen Konkurrenten zu bestehen.»

Die Fähigkeit, mit einem reichhaltigeren Angebot Mehrwert zu schaffen, zeichne Zeitungen aus. Zentral bleibe die Nachrichtenvermittlung, die eigenen Recherchen, Analysen und Kommentare. Die Verlagerung der Anzeigen stelle die Finanzierung dieser Leistungen infrage. «Ein staatlicher Eingriff würde das unternehmerische Engagement letztlich hemmen und damit die publizistische Unabhängigkeit gefährden. Strukturelle Veränderungen sind aber nötig, denn Investitionen in traditionelle wie in neue Medien müssen sich weiterhin lohnen», schreibt Supino.

Medienhäuser könnten aufwendigen Journalismus auf zusätzliche Kostenträger verteilen. Auslandkorrespondentennetze würden mit Partnermedien zusammen betrieben. «Verschiedene Beispiele zeigen, dass Kooperationen auch zwischen Unternehmen möglich sind, die in anderen Bereichen konkurrieren. Eigenständigkeit und Vielfalt bleiben dabei gewahrt. Die Verbindung von Zeitungen mit Online-Angeboten ermöglicht den Redaktionen, aber auch den Anzeigenkunden neue Reichweite.»

Der Wettbewerb um die Zeit der Menschen sei vielleicht die grösste Herausforderung für die Medienhäuser. «Auch Zeitungsredaktionen können diesen Wettbewerb gewinnen, wenn sie neue Verbreitungskanäle nutzen und ihre Leserinnen und Leser mit Substanz und Esprit überzeugen, ihnen längere, ununterbrochene Zeitabschnitte zu widmen.» Der Gegenwert müsse eine effiziente Wissensvermittlung, Orientierung und intelligente Unterhaltung sein, die sich durch Auswahl und Verlässlichkeit vom scheinbar uferlosen Informationsüberfluss abhebe.

«Die Medienhäuser werden die Herausforderungen meistern, wie es seit dem Aufkommen der ersten Massenmedien vor 400 Jahren geschehen ist. Die Vielfalt der Informations- und Unterhaltungsangebote, aus denen die Menschen heute auswählen können, eröffnet auch den Medien selbst neue Chancen. Die Zukunft unabhängiger Information liegt noch lange nicht hinter uns, sondern bleibt ein spannendes Entwicklungsfeld», schliesst Pietro Supino.