Die Wahl von Donald Trump ist Ausdruck einer digitalen Revolution, und wir befinden uns mittendrin. Die Theorie darüber, was der rasante Wandel vom Buchdruck ins Computerzeitalter real bedeutet, hinkt der politischen Realität hinterher.
Für den Klein Report versucht Medienexpertin Regula Stämpfli regelmässig die neusten wissenschaftlichen Publikationen über die Medienrevolution einzuordnen: Heute geht es um die Publikation von Antonio A. Casilli, der in Paris die Assistenzprofessur «Digital Humanities» innehat:
An der «Langen Nacht der Philosophie» in Zürich vom 17. November rezipierten Moritz Klenk, Stefan M. Seydel und ich in unserer Serie #NoRadioShow ziemlich frustrierend einige theoretischen Ansätze, was «Freiheit» unter den Bedingungen des Medienwechsels bedeuten könnte. Als ich – in der mir eigenen Verkürzung – meinte, dass «wenn Algorithmen sprechen, Menschen verstummen», wurde ich mit dem Hinweis auf das laufende Bashing der Mainstream-Medien auf die «Algorithmen» so ziemlich lächerlich gemacht. Dabei geht es mir um die politische Dimension dessen, wie gross die Mittäterschaft der automatisierten «Vernunft» in Zeiten realer autoritärer Systeme und globaler Privatisierungsfeldzüge sein kann.
Ein paar Tage später stiess ich nun – dank meinen FB-Freund*innen – auf den interessanten Blogeintrag von Casilli. Er hält fest, dass es bei der politischen Wirkung von Facebook, Google, Twitter et al. nicht um die Struktur und Wirkung von Algorithmen geht, sondern eigentlich um ein neues globales Daten-Wirtschaftssystem unter der Herrschaft von Facebook.
Dies erkärt er anhand des Videos von Derek Muller, einem Physiker, der mit «Veritasium» einen Youtube-Kanal mit wissenschaftlichen Experimenten füttert. «Likes» können in Ländern wie unter anderem in Sri Lanka, Ägypten, Indonesien, Bangladesh und Philippinen, Nepal, Indien leicht gekauft werden. Für ungefähr einen Dollar pro 1000 Clicks werden die Menschen an ihre Tastatur oder Touchpad gefesselt.
Facebook findet diese Art von Clicks zwar illegal und offeriert deshalb ständig «Bewirb Deine Seite», um die eigenen Followers zu mehr Likes zu verführen. Derek Muller beweist mit seiner eigenen Seite (Virtual Cat), dass – entgegen Verlautbarungen von Facebook – auch diese durch eigentliche Klickfarmen, das heisst, Menschen, die angestellt werden, falsche FB-Profile anzulegen und ein paar Dollar mit Klicks zu verdienen, generiert werden. «Ich habe nie ´fake likes´ gekauft, sondern habe das legale Werbeangebot von Facebook angenommen und doch nur Klickfarmen bekommen», erklärt Derek Muller.
Wie kann das sein? Klickfarmen schreiben «gefällt mir» für die Seiten, für die sie bezahlt werden. Damit sie aber von Facebook nicht als «fraud» entdeckt werden, klicken sie auch andere Seiten. So gehen die Klicks in der schieren Menge der Daten unter.
Klicks werden so in reale Währungen übersetzt. Dass vieles daran völlig «fake» ist und nur dank der globalen Ausbeutung, fehlender Sozial-und Arbeitsrechte passieren kann, interessiert nur wenige, womit wir beim Wahlerfolg von Donald Trump sind. Denn entgegen der kulturpessimistischen Analyse der Mainstream-Medien ist die demokratische Öffentlichkeit nicht einfach im postfaktischen Zeitalter angekommen, sondern sie konstituiert sich aus einem globalen Markt der Aufmerksamkeit, der zu Schleuderpreisen in indischen, nepalesischen, ägyptischen und anderen Mikrounternehmen konstruiert wird.
Trumps Prezi-Präsentation (neue, kommunikative Powerpoint-Präsentation) wurde beispielsweise von der 15-jährigen Hrithie Menon erstellt und erreichte abertausende von jungen Trump-Wählenden.
Was ist die Quintessenz all dieser Erkenntnisse? Die Übersetzung von Klicks und Daten in reale Einkommen und Werbung beruht nicht auf Objektivität, realen Standards und Reichweiten, sondern auf einem Maschinen- und Menschenmarkt, der dank Ungleichheit perfekt ausgebeutet werden kann.
Gleichzeitig befeuern unterbezahlte Mikro-Plattformen in den erwähnten Ländern wie Indien und so weiter das politische Agenda-Setting in allen Holz- und digitalen Medien. Donald Trump brauchte für seine digitale Kampagne nur die Hälfte von Hillary Clintons Budget, weil er sich – statt eine legale Dataprozess-Kampagnenagentur zu engagieren – seine Daten, Klicks und Präsentationen auf dem globalen Ungleichheitsmarkt billig organisierte.
Je länger, je mehr zeigt sich, dass Klicks und Daten dem Finanzmarkt nicht unähnlich sind. Einen Markt definieren, den es gar nicht gibt, der aber dann zuerst kommunikativ und dann politisch in die realexistierende Welt übertragen wird. Dies funktioniert wie Kategorien: Wer Leben in Statistik übersetzt, kann die Überzähligen oder Unterzahlenden eliminieren. Dass uns so die reale Welt ständig um die Ohren fliegt, ist schon längst abzusehen. Unklar ist, weshalb sich noch keine demokratiebesorgten Organisationen bei uns digitalen Cracks gemeldet haben, um mal nachzufragen, wie die digitale Revolution daran gehindert werden kann, ihre Vorzüge und uns Menschen aufzufressen.