Traditionsgemäss am letzten Tag des alten Jahres hat die Bundeskanzlei das offizielle Bundesratsfoto für das neue Jahr veröffentlicht. Stil und Inhalt darf dabei jeweils der neue Bundesratspräsident bestimmen.
«Mit dem Bild des Waadtländer Fotografen Matthieu Gafsou will Bundesrat Alain Berset zeigen, dass die Mitglieder des Bundesrats trotz unterschiedlicher Standpunkte gut zusammenarbeiten und sich gemeinsam für die Schweiz einsetzen», kommentiert dazu die Bundeskanzlei auf ihrer Webseite.
Das Foto für das Jahr 2023 zeigt die sieben Mitglieder des Bundesrats und den Bundeskanzler an einem grossen Tisch: «Sie bilden ein Kollegium, interagieren aber auch in kleinen Gruppen», heisst es als Hilfe für die Interpretation.
Die Landschaft im Hintergrund symbolisiere die Aussenwelt und verbindet das Handeln des Bundesrates mit dem des Volkes.
Für das Bild liess sich Fotograf Matthieu Gafsou von der Genremalerei des 17. Jahrhunderts und der Düsseldorfer Fotoschule inspirieren. Er versammelte alle Mitglieder des Bundesrats und den Bundeskanzler im Bernerhof, wo das Foto aufgenommen wurde.
Im Bernerhof liegen die Arbeitsräume der neuen Finanzministerin Karin Keller-Sutter. Will Alain Berset als Creativ Director des Bildes uns damit sagen, dass Keller-Sutter im kommenden Jahr die starke Frau wird, welche die anderen bei sich antanzen lässt, weil am Tisch der Finanzministerin schlussendlich alles entschieden wird?
Auf dem Tisch liegen ein Kompass, eine Schweizerkarte und eine gebundene Ausgabe der Bundesverfassung. 2023 kann die Bundesverfassung, auf die sich der Bundesrat bei seinem Handeln stützt, ihr 175-jähriges Bestehen feiern.
Wer das Bild etwas genauer unter die Lupe nimmt, kann auch weisse Blätter entdecken, die durch den Raum fliegen. Sie tragen ein Gedicht von Charles Ferdinand Ramuz und «symbolisieren diskret das Chaos und die Spannungen auf der Welt, die heute viel stärker präsent scheinen als früher», weiss dazu noch einmal die Bundeskanzlei.
Alain Berset meint dazu: «In einer Zeit der Unsicherheiten und Krisen soll das offizielle Bundesratsfoto Sicherheit vermitteln und zugleich nüchtern wirken. Es soll zeigen, dass der Bundesrat eine Einheit bildet und gut zusammenarbeitet, obwohl seine Mitglieder unterschiedliche Standpunkte haben.» Berset hat vor vier Jahren als Bundespräsident bereits einmal den Stil des Bundesratsfotos bestimmen können. 2018 wählte er ein Gif mit bewegtem Hintergrund.
Den Analysten beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) ist aufgefallen, dass das Bild auf den ersten Blick in recht schlichten und neutralen Farben gehalten ist. Auf dem Foto für 2022 posierte der Bundesrat «immerhin vor pinkem Hintergrund». Und vor dem Bundeshaus 2021.
Der «Neuen Zürcher Zeitung» ist aufgefallen, dass von den beiden Neuen im Bundesrat die Sozialdemokratin Elisabeth Baume-Schneider für das Bundesratsfoto am runden Tisch Platz nehmen darf, während es für den früheren SVP-Chef Albert Rösti dort keinen Platz gibt.
Der Klein Report denkt weiter: Der Medienminister und Nachfolger von Simonetta Sommaruga muss gemäss Regieanweisung von Berset vorderhand noch aus dem Hintergrund agieren und ist daran, sich seinen Standort erst noch zu suchen.
Man könnte es aber auch anders interpretieren. Der «Blick» sieht Baume-Schneider als die neue Schülerin dargestellt, die noch lernen muss und sich deshalb fleissig Notizen macht, während Rösti schon voll integriert ist und schon mal mit der Hand auf den Tisch schlägt.
«Watson» ist aufgefallen, dass der Bundesrat nach längerer Zeit auf dem Foto wieder einmal sitzen darf. «In den früheren Jahren – man erinnere sich an das SBB-Kartenfoto oder Ueli Maurers Selfie – standen die Regierungsmitglieder üblicherweise auf dem Foto.» Zum letzten Mal zeigte sich der Bundesrat 2015 so, wie er eigentlich zusammentrifft: sitzend und diskutierend.
Für Sermîn Faki, Politchefin beim «Blick», erinnert das Foto mit den gestikulierenden Menschen um einen Mann im Zentrum an das legendäre Bild «Das letzte Abendmahl» von Leonardo Da Vinci.
In der Konstellation der Figuren zeigt Da Vincis Gemälde den Moment, als Jesus seinen Jüngern am Abend vor seiner Kreuzigung weissagt: «Einer von euch wird mich verraten.»
Auf dem Foto hat Alain Berset den Platz von Jesus eingenommen. Wer aber wird der Judas sein?
Das offizielle Bundesratsfoto wurde in einer Auflage von 40’000 Exemplaren gedruckt.