Das Buch «Jürg Jegges dunkle Seite» hat im April 2017 eine Schockwelle durch die Schweiz gespült. Markus Zangger, eines der Opfer des damaligen Musterpädagogen, deckte gemeinsam mit Co-Autor Hugo Stamm auf, dass er und weitere Schüler über Jahre hinweg von Jürg Jegge sexuell missbraucht worden sind.
Doch während die meisten Opfer bis heute schwer traumatisiert sind, kommt Jürg Jegge ohne Strafe davon. Die Zürcher Staatsanwaltschaft informierte Markus Zangger in der vergangenen Woche darüber, dass sie die Untersuchungen gegen seinen früheren Lehrer, den schweizweit bekannten Vorzeigepädagogen Jürg Jegge, eingestellt hat. Sämtliche Delikte, die Jegge nachgewiesen wurden, seien verjährt.
Die Buchverlegerin Gabriella Baumann-von Arx vom Wörterseh-Verlag sagte am Montag gegenüber dem Klein Report: «Markus Zangger hat uns am Freitag darüber in Kenntnis gesetzt - es geht ihm gut, das ist die Hauptsache. Für ihn ist das Wichtigste, dass er das Unrecht benennen konnte, ihm geglaubt wurde und er etwas bewegen konnte. Für uns als Verlag ist wichtig, dass wir dabei helfen konnten, die Menschen aufzurütteln und ihm eine Stimme zu geben.»
Verjährung? Für viele Menschen dürfte nur schwer verständlich sein, dass das begangene Unrecht verjährt sein soll, geschweige denn für die Opfer. Dies umso mehr, weil das Stimmvolk am 30. November 2008 die «Unverjährbarkeitsinitiative» angenommen hat. Aber die Unverjährbarkeit für Sexualdelikte, die an Kindern unter 12 Jahren begangen wurden, gilt erst seit dem Abstimmungsdatum.
Auf den Fall von Jürg Jegge bezogen bedeutet das, dass sämtliche Delikte, die vor dem 30. September 1992 verübt worden sind, aus juristischer Sicht nicht mehr verfolgt werden können. Zwar räumte Jegge im Anschluss an die Publikation von «Jürg Jegges dunkle Seite» ein, zwischen 1972 und 1986 in sexuellem Kontakt mit seinen Schülern gestanden zu sein. Doch bei einer Befragung vom 13. April 2017 sagte er aus, dass es nach 1985 «nicht zu weiteren sexuellen Handlungen mit Kindern» gekommen sei.
Zwei Tage vor dieser Befragung führte die Staatsanwaltschaft bei Jürg Jegge im Zürcher Unterland eine Hausdurchsuchung durch. Aber auch dort habe die Strafverfolgungsbehörde «keine Hinweise auf weitere sexuelle Handlungen mit Minderjährigen» gefunden.
Auch eine Befragung von 18 männlichen Personen, die nach dem 30. September 1992 (also dem für die Verjährung relevanten Stichdatum) noch minderjährig waren und bei der Stiftung «Märtplatz» des damaligen Vorzeigepädagogen Jegge eine Ausbildung absolviert hatten, brachte keine weiteren Missbrauchsfälle ans Licht. Gemäss Staatsanwalt hätten die Männer bestätigt, «dass es zu keinen sexuellen Handlungen mit Jürg Jegge gekommen ist».
Aufgrund der Verjährung muss Jegge nun nicht mit weiteren Konsequenzen rechnen. Lediglich die Verfahrenskosten von 4400 Franken werden dem Lehrer, der über Jahre hinweg seine Position dazu ausnutzte, um seine Schüler wiederholt zu missbrauchen, auferlegt.
Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ist gleichzeitig der vorläufige Schlusspunkt unter eine schwierige Zeit für Markus Zangger, Co-Autor Hugo Stamm und die Mitarbeiter des Wörterseh Verlags. «Es war ungeheuer schwierig und hat uns über weite Strecken sehr viel Energie gekostet. Wir sind vom zehn Meter gesprungen und wussten nicht, was uns unten erwartet, aber wir wollten Markus Zangger, der auf dem Hundertmeter-Sprungbrett stand, eine Plattform gegen, das Unrecht zu benennen. Daher hat sich alle Energie gelohnt», so die mutige Verlegerin Gabrielle Baumann-von Arx.
«In Sachen Presse sind wir positiv überrascht worden. Ein grosser Wermutstropfen bleibt, dass Markus Zangger sein Buch im `DOK` des Schweizer Fernsehens weder mit Titel benennen, noch mit Bild zeigen durfte. Ich setzte mich dafür ein, weil ich es nichts als fair gefunden hätte, wurde aber von einer Instanz an die nächste gereicht. Erfolg hatte ich keinen. Ich empfinde es nach wie vor so, dass man Markus damit Unrecht getan hat.»
Weiter Aktivitäten seien derzeit nicht geplant: «Vorläufig ist nichts angedacht, ich sehe leider keine Möglichkeit, den Menschen klar zu machen, dass das Buch, das in Co-Autorenschaft mit Hugo Stamm entstanden ist, in vielerlei Hinsicht ein wichtiger Beitrag zu unserer Gesellschaft, gegen das Wegsehen und zur Verhütung von Kindsmissbrauch ist.»