Content:

Dienstag
12.07.2016

Medien / Publizistik

«Tödliches Vertrauen» von Jürg Mosimann

«Tödliches Vertrauen» von Jürg Mosimann

Jürg Mosimann (70), der ehemalige «Blick»-Journalist und langjährige Stellvertreter des Informationschefs der Kantonspolizei Bern, hat mit «Tödliches Vertrauen» ein packendes und informatives Buch über den tragischen Fall Doris Walker geschrieben. Im September 1989 wurde das Mädchen von einem beurlaubten Straftäter ermordet.

Der Fall machte auch deshalb schweizweit Schlagzeilen, weil den Untersuchungsbehörden bei der Suche nach dem vorerst verschwundenen Mädchen ein folgenschwerer Fehler unterlaufen war. Der Klein Report sprach mit Jürg Mosimann über sein aktuelles Buch, aber auch über den Fall Rupperswil und über die Rolle der Medien nach Gewaltverbrechen.

Klein Report: Jürg Mosimann, Sie haben sowohl als Journalist als auch als stellvertretender Informationschef der Kapo Bern viele tragische Fälle erlebt. Denken Sie heute noch daran? Warum haben Sie für Ihr Buch ausgerechnet den Fall Doris Walker ausgesucht?
Jürg Mosimann: «Es gab keine Fälle, die mich nachhaltig belastet haben. Zugegeben: Während meiner Zeit bei der Polizei gab es Ereignisse, die mich kurzzeitig emotional berührt und sogar physisch gefordert haben. Dazu zähle ich unter anderen den Canyoning-Unfall im Saxetbach in Wilderswil, bei welchem 21 junge Menschen ihr Leben verloren. Dazu zähle ich auch den Grossbrand der Tela in Niederbipp, bei welchem drei Feuerwehrleute ihr Leben lassen mussten. Oder den Fall vom zunächst unbekannten Täter, der im Raum Bern rund 30 Entreiss- und Raubdelikte begangen, zwei Frauen lebensgefährlich verletzt und eine junge Frau getötet hat. Die Ungewissheit, ob, wann und wo der Unbekannte wieder zuschlagen wird, hat die Polizei und die Justiz überaus stark gefordert. Zu den aufwühlendsten Fällen zähle ich auch das Tötungsdelikt an der zehnjährigen Doris in Erlach. Darum diente er mir als Grundlage für mein neues Buch. Er war gespickt von zahlreichen Facetten. Geprägt von Wut und Trauer, von beruflichen Zwängen, Emotionen und Unzulänglichkeiten.»

Das Mädchen wurde trotz intensiver Suche erst drei Wochen nach der Tat gefunden. Tatort war auch Fundort. Sie werfen den Untersuchungsbehörden vor, bei der Suche geschlampt zu haben. Vor allem mit dem zuständigen Staatsanwalt, den Sie im Buch Nussbaum nennen, gehen Sie sehr hart ins Gericht. Hat er sich nach der Veröffentlichung des Buches bei Ihnen gemeldet?
Mosimann: «Ich werfe den Untersuchungsbehörden nicht a priori Schlamperei vor. Nebst den grossangelegten Suchaktionen nach dem zunächst vermissten Kind wurde auch ein Helikopter eingesetzt, der die zahlreichen Maisfelder überflog. Von dieser Variante versprach man sich eine effizientere Suche und einen raschen Erfolg. Das entpuppte sich als Trugschluss. Schon damals hatten die Untersuchungsbehörden und die Medienschaffenden sehr unterschiedliche Vorstellungen von Öffentlichkeitsinformation. Das manifestierte sich darin, dass ich eine mehrstündige, polizeiliche Einvernahme über mich ergehen lassen musste. Nicht genug: Anschliessend wurde das Redaktionsbüro des ´Blick´ ergebnislos durchsucht und zu guter Letzt auch noch eine Hausdurchsuchung im Pressehaus in Zürich ins Auge gefasst. Dabei habe ich ja nur meinen Job gemacht. Der damalige Untersuchungsrichter übrigens auch. Warum sollte er sich also bei mir melden?»

Haben Sie bei der Polizei auch Fahndungsarbeit geleistet?
Jürg Mosimann: «Wenn Sie darunter das Verfassen und Verbreiten von Zeugenaufrufen verstehen, dann ja. Aber als Journalist habe ich dazu beigetragen, dass ein langgesuchter Täter dingfest gemacht werden konnte. Und das notabene dank einer Indiskretion eines Polizisten! Der Gesuchte hatte jeweils Frauen mit präparierter Patisserie betäubt und danach sexuell missbraucht. Die Opfer konnten ihn und sein Auto später notdürftig beschreiben. Dass im Auto, neben dessen Nummernschild ein ´L´ prangte, ein Wimpel eines Sportvereins hing, war einigen aufgefallen. Genau diese Merkmale verschwieg die Polizei in ihrem Zeugenaufruf. Vermutlich weil zu unwichtig. Ein Fahnder steckte mir jedoch diese Info. Einen Tag später sah ich das Fahrzeug ordnungsgemäss geparkt in Bern. Der Rest war Routine. Der Mann wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Das ´L´ stand übrigens nicht für Lernfahrer, sondern für Luxemburg.»

Wie waren die Reaktionen von alten Kollegen der Polizei und der Medien auf Ihr Buch?
Mosimann: «Das Interesse der Medien war recht goss. Das lässt sich dadurch erklären, dass der Fall der kleinen Doris den Redaktionen auch 26 Jahre nach der Tat noch präsent war. Dasselbe galt auch für meine früheren Arbeitskollegen bei der Polizei. Viele von ihnen kannten den Fall noch aus eigener Erfahrung. Auch aus den Reihen der Justiz hörte ich viele lobende Stimmen. Das Schicksal der kleinen Doris und ihrer Familie beschäftigte und interessierte auch eine recht breite Öffentlichkeit. Meine bisherigen Lesungen waren sehr gut besucht.»

Sie hatten und haben Kontakt zu den Eltern des ermordeten Mädchens. Wie haben sie auf Ihr Buchprojekt reagiert? Gab es von Seiten der Eltern Einwände?
Mosimann: «Ich habe die Eltern von Doris vorgängig über das Buchprojekt informiert. Ihre Reaktion war sehr positiv. Als bescheidene Gegenleistung und zum Schutz ihrer Privatsphäre habe ich anstelle des Familiennamens ein Pseudonym verwendet. Im Buch sehen die Eltern auch ein Instrumentarium, das dazu beiträgt, dass der unnütze Tod ihres Kindes auch ausserhalb der Familie nicht in Vergessenheit gerät.»

Haben Sie ihnen das fertige Buch vorgelegt?
Jürg Mosimann: «Selbstverständlich habe ich allen Familienmitgliedern ein Buch geschenkt. Seitens der Medien bin ich mehrmals gefragt worden, ob ich mit meinem Buch nicht alte Wunden aufreisse. Diese Frage habe ich vorgängig auch dem Vater von Doris gestellt. Er hat mir geantwortet: `Die Wunden können und werden nie verheilen.`»

Das Buch liest sich gut. Vor allem die Arbeit der Journalisten und der Ermittlungsbehörden wird sehr eindrücklich geschildert.
Mosimann: «Es ist ein Unterschied, ob man etwas beschreibt, das man selber erlebt hat, oder ob man etwas erfinden muss. Weil ich später bei der Kantonspolizei uneingeschränkten Einblick in die Arbeitsweise, die verschiedenen rechtlichen Problemstellungen, die Ermittlungsstrategien und -möglichkeiten von Polizei und Justiz bekommen habe, fiel es mir natürlich leichter, Abläufe, Dialoge und Handlungen zu Papier zu bringen.»

Die Schweiz wurde kürzlich vom Vierfach-Mord in Rupperswil erschüttert. Auch nach der Verhaftung des mutmasslichen Täters N. bleiben viele Fragen offen. Zum Beispiel: Wie konnte er in einer solch beschaulichen Umgebung, wo jeder jeden zu kennen scheint, unerkannt ins Haus der Familie gelangen?
Jürg Mosimann: «Ich gehe davon aus, dass die mit den Ermittlungen betrauten Polizisten der Kantonspolizei Aargau diese Frage besser beantworten können als ich.»

Wie beurteilen Sie in dieser Angelegenheit die Informationspolitik der Untersuchungsbehörden?
Mosimann: «In aufsehenerregenden Fällen ist das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und damit der Medien sehr gross. Das wissen auch die Untersuchungsbehörden. Zuweilen sind sie - und im konkreten Fall waren sie es auch - auf die Mithilfe der Öffentlichkeit angewiesen. Das räumt den Medien aber noch lange nicht das Recht auf uneingeschränkte Informationen ein. Sicher, die Medien leben von den Schlagzeilen und von den News. Die Untersuchungsbehörden haben aber die Aufgabe, das Verfahren zu führen und zu schützen - auch im Interesse der Öffentlichkeit. Aus der Distanz betrachtet, bewerte ich die Informationspolitik der Aargauer Untersuchungsbehörden als sehr gut. Polizei und Justiz haben immer dann etwas gesagt, wenn sie etwas zu sagen hatten.»

Es gibt noch einige ungeklärte Mordfälle in der Schweiz, denken wir nur an den Mordfall in Seewen, an den Fall Ruth Steinmann oder die Ermordung des Rabbiners im Sommer 2001 in Zürich.
Mosimann: «Ungeklärte Mordfälle - sofern sie nicht verjährt sind - werden nicht, wie oft irrtümlich angenommen wird, ad acta gelegt. Während meiner Zeit bei der Polizei hat die Kapo Bern zwei langjährige Fälle aufgeklärt und die Täterschaft der Justiz überwiesen. Ein Tötungsdelikt wurde nach sechs, das andere nach elf Jahren geklärt.»

Was sind Ihre nächsten (Buch-)Pläne?
Jürg Mosimann: «Nur so viel: Wüthrich und sein Team werden wieder in einem Fall ermitteln, der in der ganzen Schweiz zu trauriger Popularität gelangte.»