Eine europäische Studie hat die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden im audiovisuellen Bereich untersucht und Kriterien für eine Idealform aufgestellt. Die Schweiz schneidet dabei nicht besonders gut ab. In Brüssel wurde am Montag die Studie vorgestellt. Für den Klein Report berichtet Roger Blum.
Radio und Fernsehen, manchmal auch das Internet, werden in den europäischen Ländern von Behörden oder Kommissionen beaufsichtigt und reguliert. In Frankreich ist das der Conseil supérieur de l’audiovisuel, in Deutschland sind es die Landesmedienanstalten und weitere Gremien, in der Schweiz erfüllen das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) und die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) diese Aufgabe. Mit der neuen «Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste» hat die Europäische Union für ihre Mitgliedsländer bestimmt, dass diese Aufsichtsbehörden unabhängig sein müssen. Sie hat aber nicht nur diese Richtlinie erlassen, sondern gleich auch ein Forscherteam beauftragt, erstens zu untersuchen, wie es um die Unabhängigkeit solcher Behörden tatsächlich bestellt ist, und zweitens aufzuzeigen, welche Merkmale für sie typisch sein sollten. Das Forscherteam hat 43 Länder in die Untersuchung einbezogen, nämlich die Mitgliedstaaten, die Kandidaten und potenziellen Kandidaten der Europäischen Union, die Länder der EFTA (darunter die Schweiz) sowie vier nichteuropäische Länder, nämlich die USA, Australien, Japan und Singapur (www.indireg.eu).
In einem Workshop in Brüssel betonte der Leiter des internationalen Forscherteams, Wolfgang Schulz (Hans-Bredow-Institut Hamburg), Unabhängigkeit sei eine relative Grösse. Es gehe darum, dass die Aufsichtsbehörden eine Armlänge Distanz halten zu den Akteuren im Markt, zu den politischen Akteuren und zu den Konsumenten. Zur Unabhängigkeit gehörten die Zuständigkeit für die Politikumsetzung, die Finanzautonomie, die Entscheidungsautonomie, das Fachwissen sowie Transparenz- und Rechenschafts-Mechanismen. Marc Thatcher von der London School of Economics and Political Science strich heraus, dass es nicht nur auf die formale (im Gesetz vorgesehene) Unabhängigkeit dieser Behörden ankomme, sondern vor allem auf die reale Unabhängigkeit. Und er machte darauf aufmerksam, dass heute die Unabhängigkeit gegenüber Interessengruppen und Unternehmen mindestens so wichtig sei wie die gegenüber der Politik.
Michele Ledger (Cullen International in Namur, Belgien) zeigte die wichtigsten Trends auf, die sich aus der Analyse der Aufsichtsbehörden in den 43 Ländern herauskristallisiert haben. Dazu gehören: Unabhängigkeit wird überall als Wert anerkannt. In der Mehrheit der Länder existiert eine separate Behörde, die nicht unter der Kontrolle eines Ministeriums steht. Meist reguliert die gleiche Behörde sowohl Service-public-Sender als auch kommerzielle Sender. Selten gehören auch die Online-Angebote dazu. Meist steht an der Spitze der Behörde eine Kommission, welche die Entscheide fällt. Die Wahl der Kommission nehmen unterschiedliche Institutionen vor: In den einen Ländern das Parlament, in den andern die Regierung, in den dritten beide, in den vierten auch Organisationen der Zivilgesellschaft. Sanktionen, die die Aufsichtsbehörden verhängen können, reichen von Warnungen über Bussen und Publikation von Verfügungen bis zum Lizenzentzug. In fast der Hälfte der Länder können Entscheide der Aufsichtsbehörden nicht nur von Gerichten, sondern auch von anderen Instanzen korrigiert werden. Die meisten werden aus dem Staatsbudget finanziert.
Das Ideal einer Regulierungsbehörde, das Wolfgang Schulz skizzierte, besteht aus einem unabhängigen Gremium, das nur von einem Gericht zurechtgewiesen werden kann, das sich auch Expertise von aussen holt, länger amtet als das Parlament, aber nicht doppelt so lange, über ein eigenes Budget verfügt und über die Kompetenz, Politik umzusetzen. Dem Ideal entspricht beispielsweise das britische Office of Communication nahezu.
Im Workshop gab es auch kritische Stimmen zur Studie, nicht zuletzt deshalb, weil es fast unmöglich ist, 43 Länder über einen Leisten zu schlagen. Die Schweiz schneidet - gemessen am Ideal - nicht so günstig ab. Denn sie ist eines der wenigen Länder, in der die zentrale Regulierungsinstanz im audiovisuellen Medienbereich, das BAKOM, Teil eines Ministeriums ist. Folglich ist Medienministerin Doris Leuthard die oberste Reguliererin. Das BAKOM mit Direktor Martin Dumermuth an der Spitze hat zwar den Ruf, unbestechlich zu entscheiden. Aber faktisch entspricht es nicht dem Ideal einer von allen Seiten unabhängigen Instanz.
Man erinnert sich, dass der Bundesrat im Entwurf für das neue Radio- und Fernsehgesetz genau dies ändern wollte. Er schlug eine «Kommission für Fernmeldewesen und elektronische Medien» vor, die die Aufgaben des BAKOM (und anderer) übernommen hätte. Doch das Parlament strich diese Kommission, weil es sie als zu mächtig und als zu wenig spezifisch empfand, und beliess den bisherigen Zustand mit BAKOM und Unabhängiger Beschwerdeinstanz (UBI). Auch die UBI entspricht nicht dem Ideal. Sie ist zwar in ihrer Entscheidungsfindung unabhängig, nicht aber in Bezug auf die Finanzen und die Administration. Dort redet das Medienministerium mit. Somit ist die Schweiz in der Medienregulierung kein europäischer Musterknabe.
*Roger Blum, regelmässiger Mitarbeiter des Klein Report, amtet seit 2008 als Präsident der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI).
Dienstag
01.02.2011




