Marina Ovzyannikova hat ihre persönliche Freiheit aufs Spiel gesetzt, als sie im Staatsfernsehen vor laufender Kamera gegen den Krieg demonstrierte. Jetzt bangt sie um ihre persönliche Sicherheit – und jene ihrer beiden Kinder.
«Die gegenwärtige Zeit ist eine sehr dunkle Zeit in der Geschichte meines Landes und jeder, der eine zivilgesellschaftliche Haltung vertritt und wünscht, dass diese Haltung gehört wird, muss sich Gehör verschaffen», sagte die 43-jährige TV-Journalistin am Sonntag in einem Interview mit ABC News.
Nicht das russische Volk führe Krieg gegen die Ukraine, sondern Kreml-Chef Wladimir Putin. «Mehr als die Hälfte der russischen Bevölkerung ist gegen den Krieg», so Ovzyannikova.
Marina Ovzyannikova hatte auf dem ersten Staatsfernsehen am Montag vergangener Woche zur besten Sendezeit ein Transparent in die Kamera gehalten, auf dem unter anderem «No War» zu lesen war und der Staatssender als Propagandakanal enttarnt wurde: «Sie werden genau hier belogen.»
Was in der Ukraine derzeit passiere und was ihr Sender berichten würde, seien zwei ganz unterschiedliche Dinge, sagte die mutige Journalistin im Gespräch mit ABC-Moderator George Stephanopoulos weiter.
Zunächst sei sie auf die Strasse gegangen, um gegen den Krieg zu protestieren. Als sie aber gesehen habe, wie Leute verhaftet würden, habe sie sich überlegt, wie sie sich anders gegen den Krieg wehren könne. «Ich wollte die Leute ermutigen, ihre Stimme gegen den Krieg zu erheben.»
Zu ihrer Protestaktion mit dem Transparent sei es spontan gekommen. Die Unzufriedenheit aber sei über viele Jahre gewachsen. «Die Propaganda auf den Staatssendern ist immer kruder geworden. Der politische Druck auf die Medien konnte uns in der Redaktion nicht unbeeindruckt lassen.»
Die Atmosphäre beim Staatssender sei seit dem Kriegsausbruch «so unangenehm geworden, dass ich realisiert, dass ich nicht dorthin zurückgehen konnte.»
Ovsyannikova war nach ihrem Protest vergangene Woche festgenommen und kurz darauf zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel (rund 280 Franken) verurteilt worden. Ihr droht aber ein zweiter Prozess, wo sie auch zu einer längeren Haftstrafe verurteilt werden könnte.
Inzwischen hat Emmanuel Macron der 43-jährigen Asyl angeboten. In einem Interview mit dem «Spiegel» sagte Ovsyannikova jedoch, dass sie und ihre beiden Kinder in ihrer Heimat bleiben wollen, obwohl sie dort nun als Staatsfeindin gelte.
«Wir haben ein gutes Leben in Russland. Ich will nicht auswandern und zehn Jahre meines Lebens verschwenden, um mich in einem anderen Land zu assimilieren.»
Seit Anfang März gilt in Russland ein Gesetz, das sogenannte Fake News über die Invasion der russischen Armee in der Ukraine unter teils drakonsiche Strafen stellt. Was gefaket ist, entscheiden die Behörden.
«Ich und meine Freunden konnten bis zuletzt nicht glauben, dass möglich ist, was jetzt geschehen ist», sagte die Journalistin im ABC-Interview schliesslich nachdenklich. «Ich bin sehr besorgt um meine persönliche Sicherheit und vor allem um diejenige meiner Kinder.»