Die Kolumne im Klein Report unter dem Titel «Trumpism in der Schweiz. Zu einem neuen Phänomen» warf hohe Wellen. Der Text wurde x-mal geteilt, kommentiert und diskutiert.
Aufgrund der Facebook-Kommentare inklusive Tweets und Emails präzisiert die Klein Report-Kolumnistin und Medienexpertin Dr. Regula Stämpfli den Ansatz «Trumpism in der Schweiz» am Beispiel des Interviews von Jacqueline Fehr in der «Wochenzeitung» vom 14. September 2017 weiter.
«Mit `Trumpism in der Schweiz` habe ich drei Phänomene skizziert: Erstens die Direktkommunikation zwischen Regierenden und Regierten online, zweitens die diskursive Infragestellung von Demokratie und Rechtsstaat und drittens die Debatte rund um den Islam.
Erstens: Die Direktkommunikation online zwischen Regierenden und Regierten bedarf der Klärung. Sie kann im besagten Fall von einer Regierungsrätin gegenüber einem Flüchtling durchaus auch als Einschüchterung gewertet werden. `Die Regierungsrätin habe sich ja entschuldigt`, wurde in den Kommentaren oft hervorgehoben. Dabei stellt sich indessen die Frage, bei wem eigentlich? Bei Facebook oder ihrer Community? Die Entschuldigung passt ins Muster von Politisierenden, die `sorry` sagen, um damit nicht für ihr Handeln und Sprechen Verantwortung zu übernehmen.
Zweitens: Demokratie, Rechtsstaat und Kultur. `Unsere Leitkultur ist der Rechtsstaat.` Dieser Satz ist nach wie vor falsch. Der Rechtsstaat ist keine Kultur, sondern ist die institutionelle Voraussetzung für die Demokratie. Erinnern Sie sich noch an Angela Merkels Satz der `marktkonformen Demokratie`? Oder an Putins `gelenkte Demokratie`? Oder an Chinas `kollektive Demokratie`?
Auch der Rechtsstaat hat sich nicht nach Markt, nach Autorität, nach Ideologie und schon gar nicht nach Kultur zu richten. Gerade die USA unter Trump beweisen doch, wie wichtig der Rechtsstaat ist, da sich nur noch das Recht gegen den Tweet eines Präsidenten durchsetzen kann. In der Türkei wird übrigens mit dem Hinweis auf den Rechtsstaat als Kultur die islamkompatible Umformung des Staates betrieben. Zusammen mit dem Ausnahmezustand führt dies zur völligen Pervertierung der Demokratie.
Drittens: Islam, Gleichstellung und Linke. Die SP-Regierungsrätin vertritt in eigenen Worten `einen emanzipierenden und keinen maternalistischen Feminismus`. Diese Einschätzung gibt in den sozialen Medien viel zu diskutieren. Medientheoretisch lassen sich die heftigen Reaktionen gut begründen: Es gibt schneidende öffentliche Attacken unter Feministinnen im deutschsprachigen Raum, nachzulesen in der Wochenzeitung `Die Zeit`.
Zudem vermischen alle Debatten in den sozialen Medien Person mit Posts. Das resultiert in einem Maschinen-Stechschritt der Anfeindungen und das tut keiner Demokratie oder politischen Lösungsfindung gut. Ausserdem wird jede religionskritische Position im Hinblick auf Islamophobie oder Islamophilie bewertet. Da kommt sich eine kritische Wissenschaftlerin wie Odysseus zwischen Skylla und Charybdis vor - oder, auf den Feminismus bezogen, wie eine zwischen Fremdenhass auf der einen Seite und situativ verhandelbaren Menschenrechten auf der anderen Seite. Beide Seiten fressen die Demokratie auf.
Damit die Odysseus-Position verständlich wird, ein Beispiel: Ich finde die Burka scheusslich. Sie erinnert mich an alles, was ich nicht sein will und doch auch bin: Eine Frau in einer Welt, die Frauen vergewaltigt, unterdrückt, religiös definiert, nach Kilos und Zentimeter kategorisiert. Sie ist Mahnmal und Symbol in grossem Masse, aber den ständig frauenverachtenden Porträts, Pop-Kultur wie GNTM nicht unähnlich. Gleichzeitig weiss ich, dass ein Burka-Verbot kein Quäntchen Gleichstellung mehr bringt. Aber deshalb zu sagen, dass ich Frauen nicht vorschreiben will, was sie zu tragen haben, ist auch naiv. Mit einer Burka gibt es nämlich auch kein Quäntchen Gleichstellung mehr.
Nun weisen zwar Gender-Theoretikerinnen darauf hin, dass es `anmassend` und eine `typisch männliche Vorstellung von weiblicher Selbstbestimmung` sei, wenn man das Tragen eines Schleiers nicht als selbstbestimmt definiere. Frauen hätten schliesslich das Recht, `vernünftige Strategien in einem falschen System` zu wählen.
Dies ist nichts anderes als die Rechtfertigung und die Legitimation eines sexistischen Ist-Zustandes bis in alle Ewigkeit. Die kulturelle Verfügbarkeit rechtsstaatlicher Grundsätze zementiert bestehende Ungleichheiten und führt in keiner Weise zur Gleichstellung aller Menschen. Interessanterweise korrespondiert die Gender-Logik perfekt mit dem neoliberalen Imperativ zur Verwertbarkeit alles Lebendigen.
Deshalb finden viele Gender-Theoretikerinnen auch, Prostitution solle als Sexarbeit als Dienstleistung wie jede andere betrachtet werden. In einem derartig voll verdinglichten Weltbild spielt es keine Rolle mehr, ob Finger über die Tastatur streichen oder stundenlang einen Schwanz massieren. In einem solchen Weltbild spielt es keine Rolle, ob ein Mädchen Velo fährt oder ausschliesslich mit dem Tschador auf die Strasse will.
Beides wird in dieser Logik als `Freiheit` interpretiert. So gibt es keinen Massstab mehr, sondern nur noch einen Preis und Diskurs. Dies ist natürlich das pure Gegenteil von Demokratie.
Fazit: Statt über `Kopftuch ja oder nein` sollten eigentlich alle progressiven Menschen sofort zu diskutieren beginnen, wie die Löhne des Pflegepersonals (mit oder ohne Kopftuch) sofort verdoppelt und deren Arbeitszeitbelastung halbiert werden könnte. Denn während sich die Linke über theoretische Debatten halb tot schlägt, respektive einige Exponenten so sehr mit Dreck bewirft, dass sie möglichst verstummen, schreitet die monetäre Verwertung alles Lebendigen in erschreckendem Masse fort.
In einer derartigen Situation dann `für die Burka` oder `gegen die Burka` sein zu müssen, bringt niemanden weiter und schon gar nicht in Richtung Demokratie. Und statt einen neuen Hashtag oder Shitstorm zu initiieren, sollte auch wissenschaftlich darüber nachgedacht werden, wie es kommen konnte, dass sich die Art politischer Kommunikation, die ich mit `Trumpism` kennzeichne, so schnell in der Schweiz etablieren konnte.»