Im Tessin ist die Lage aufgrund des Coronavirus besonders angespannt, was die hiesigen Medienhäuser in eine prekäre Lage bringt. «Viele Verleger litten schon vor der Pandemie. Und dass deren Situation nun nicht besser wird, liegt auf der Hand», sagt Alessandro Colombi, CEO der Mediengruppe Corriere del Ticino (CdT), im Interview mit dem Klein Report.
Der Chef-Manager des grössten privaten Medienhauses der italienischen Schweiz erklärt, wie der Bund mit Sensibilisierungskampagnen eine Stütze für Medien sein könnte. Nicht nur Endverbraucher, sondern auch Werbeauftraggeber sollten angesprochen werden, sagt Colombi.
Das «normale» Leben steht im Tessin vielerorts still, die Prioritäten sind andere geworden. Wie ist die Situation bei der Mediengruppe Corriere del Ticino (CdT)?
Alessandro Colombi: «Unsere Gruppe fokussiert sich voll und ganz auf ihre Kernaufgabe, nämlich das Überbringen von apolitischen und qualitativ hochstehenden Informationen an die Tessiner Bevölkerung. Die wachsenden Leser-, Zuseher- und Zuhörerzahlen geben uns die Gewissheit, dass wir sehr gut arbeiten. Wir haben bis zu viermal mehr Reichweite als im Normalfall. Wir sind uns natürlich bewusst, dass diese Zahlen irgendwann wieder sinken werden, aber wir glauben auch daran, dass wir in allen unseren Medien nach der Krise permanent eine höhere Reichweite haben werden.»
Wie wurde die Arbeitsweise der Journalistinnen und Journalisten in diesen aussergewöhnlichen Zeiten angepasst?
Colombi: «Von Anfang an haben wir jede unserer Firmen separiert, um jeglichen Kontakt unter den Mitarbeitern zu vermeiden, und wir haben auch sofort Homeoffice angeordnet. All dies war innert sehr kurzer Zeit möglich, weil unsere Gruppe in den letzten drei Jahren sehr viele Vorinvestitionen in moderne Technologien getätigt hat. Wir sind heute in der Lage, die Printausgabe des 'Corriere del Ticino’ zu 90 Prozent per Homeoffice herzustellen. Aber auch für das TV haben wir darauf geschaut, dass nur ein absolutes Minimum an physischer Präsenz vor Ort stattfinden muss. Dies gilt natürlich auch für das Radio. Dazu schauen wir, dass unsere Gäste nicht physisch vor Ort sein müssen.»
Die CdT-Gruppe hat, genauso wie viele andere Medienhäuser, Kurzarbeit eingeführt: Welche Bereiche sind davon betroffen, wie viele Mitarbeitende sind tangiert?
Colombi: «Ich möchte hier nicht ins Detail gehen. Aber klar, wir sind auch nicht darum herum gekommen, Kurzarbeit zu beantragen. Da ist es natürlich so, dass verschiedene Sektoren sehr unterschiedlich davon betroffen sind. Zum Beispiel der Sport, die Kultur, Veranstaltungen oder die Lokalchronik. Diese Bereiche finden zurzeit praktisch nicht statt.»
Fühlen Sie sich in der aktuellen Krisensituation durch die Massnahmen des Bundes genügend unterstützt?
Colombi: «Es sind wichtige Massnahmen, die sehr schnell umgesetzt wurden. Ich möchte und kann aber nicht darüber urteilen. Auf jeden Fall sind es Massnahmen, die der Bundesrat einführen konnte, ohne einzelne Sektoren zu bevorzugen. Aber es ist klar, dass auch Darlehen des Bundes – wenn auch zum Nullzins – irgendwann zurückbezahlt werden müssen. Und da wird es wohl schwierig für diejenigen Firmen, die vorher schon in wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren. Da wird es dann wohl auch in Zukunft ein ganz schwieriger Kampf bleiben.»
In welchen Bereichen würden Sie sich vom Bund allenfalls noch zusätzliche Unterstützung wünschen?
Colombi: «Es gibt Branchen, wie zum Beispiel auch die Medienbranche, die trotz Kurzarbeitsgeldern – wegen des wahrhaftigen Einbruchs der Werbeeinnahmen – derzeit einen besonderen Effort leisten müssen. Ich denke, dass der Staat in diesen Bereichen über Ad-hoc-Massnahmen nachdenken sollte.»
Haben Sie eine konkrete Idee, wie eine solche Unterstützung aussehen könnte?
Colombi: «Mir ist klar, dass eine Unterstützung des Staates von Privatmedien immer auch heikel sein kann. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass der Staat mit Sensibilisierungskampagnen die Qualitätsmedien unterstützen würde, um einem breiten Publikum den Wert dieser Medien noch stärker in Erinnerung zu rufen. Diese Sensibilisierung sollte gleichermassen an Endverbraucher wie auch an Werbeauftraggeber gerichtet sein. Gerade die Werbeauftraggeber sollten sich in Zukunft wieder vermehrt Gedanken machen, ob sie einen Grossteil ihrer Investitionen wirklich auf Social Media-Plattformen oder Suchmaschinen tätigen wollen, oder nicht doch vermehrt wieder dort investieren, wo auch ein Mehrwert für die Bevölkerung erbracht wird ...»
Die Print-Titel stehen schweizweit unter besonderem Druck. Wie angespannt ist die Lage diesbezüglich beim «Corriere del Ticino»?
Colombi: «Wir sind leider keine Ausnahme zu den anderen Medienhäusern, die Printprodukte herausgeben. Das Jahr ist ziemlich gut gestartet, um dann mit dem Covid-19 regelrecht einzubrechen. Dies zwingt uns täglich, die Hochrechnungen der Werbeeinnahmen und somit natürlich der gesamten Budgets anzupassen. Viele Verleger im Tessin litten schon vor der Pandemie. Und dass deren Situation nun nicht besser wird, liegt auf der Hand.»
Wie reagiert die CdT-Gruppe auf diese Situation? Wird es zu Einstellungen einzelner Geschäftsbereiche kommen?
Colombi: «Unsere Gruppe schliesst keinen einzigen Geschäftsbereich. Klar sind auch wir gezwungen, über unsere gesamte Organisation nachzudenken und auch darüber, was wir unserem Publikum in Zukunft an Informationen und Unterhaltungen zukommen lassen können. Aber unsere Gruppe ist sehr solide aufgestellt und kann sich heute auf die Zukunft vorbereiten. Zusammen mit meinem Management erarbeiten wir nachhaltige Pläne für die Zukunft.»
Rechnen Sie damit, dass die Corona-Krise in der Medienlandschaft zu einer Konsolidierung führen wird?
Colombi: «Die Konsolidierungen gehen weiter. Das ist unausweichlich. Aber nicht nur im Bereich der Medienbranche. Die Krise mit dem Coronavirus wird diesen Prozess zusätzlich beschleunigen. Aber es wird die Firmen auch dazu bringen, Massnahmen zu implementieren, welche die Effizienz und die Produktivität steigern werden.»
Wie wird nach Ihrer Einschätzung die Tessiner Medienlandschaft nach der Corona-Krise aussehen?
Colombi: «Das Qualitätsmedium mit tiefgründigem Inhalt ist heute das meist genutzte Medium. Ich kann nur die Prognose wagen, dass diese Krise eine derart lange Spur hinterlässt, dass am Schluss die Differenz von Qualitätsmedien zu allen anderen Medien noch sehr viel grösser sein wird.»
Was muss in den nächsten Wochen und Monaten noch passieren, damit gravierende Schäden soweit wie möglich verhindert werden?
Alessandro Colombi: «Die Antwort ist sehr einfach. So einfach sie ist, so schwierig ist die Umsetzung: Einen Impfstoff zu finden, der das Virus bekämpft oder ein Medikament, das den kranken Personen hilft, wieder gesund zu werden, ist meines Erachtens der einzige Weg, um die Schäden dieser Pandemie eindämmen zu können. Und je eher wir diesen Weg finden, desto kleiner werden die Schäden für die Wirtschaft und die Bevölkerung sein.»