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Donnerstag
04.07.2002

Der neue starke Mann bei der Tamedia, CEO Martin Kall, hat am Donnerstagabend eine neue Struktur der Unternehmensleitung bekannt gegeben, die ganz auf ihn zugeschnitten ist. Das Zürcher Verlagshaus konzentriert sich auf die Unternehmensbereiche «Zeitungen» (Chef: Jürg Brauchli), «Zeitschriften» (Alexander Theobald) und «Elektronische Medien» (Andreas Meili). Am meisten überrascht dabei, dass mit Meili der bisherige Leiter des Rechtsdienstes von einer Stabsfunktion auf einen Managerposten gelangt. Zweite personelle Konsequenz ist der Abgang von «Tages-Anzeiger»-Chefredaktor Philipp Löpfe aus der Unternehmensleitung; ein Schritt der aus der Neuorganisation aber konsequent ist. Ein Opfer der Neuorganisation ist René Gehrig, der bisherige Geschäftsleiter Verlags-Marketing. Kall sagte am Donnerstag vor den Medien kurz und knapp: «Wir haben uns von ihm getrennt.» Anders liegen die Dinge bei Finanzchef Patrick Eberle, der das Unternehmen nach über acht Jahren freiwillig verlässt und auf eine Weltreise geht, was Kall noch nicht ganz glauben mag: «Die meisten - wenn sie um die 40 sind - kehren nach ein paar Wochen wieder in den Arbeitsprozess zurück», fügte er schmunzelnd hinzu.

Die Neuorganisation der Tamedia dient einem verstärkten Expansionskurs, wie Kall deutlich machte: «Wir haben eine fünf- bis zehnjährige Strategie.» Dabei denkt er nicht nur an Zukäufe, sondern auch an Kooperationen und Allianzen. «Wir wollen aber klar die Marktführerschaft», unterstrich Kall. So ist im Tamedia-Communiqué ausdrücklich vom Pendlermarkt die Rede, der «systematisch weiterentwickelt» werden soll, was auf eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit «20 Minuten» hinauslaufen könnte. Will die Tamedia «20 Minuten» kaufen? Kall: «Wir schauen alle Optionen an. Es muss ja nicht immer Kaufen sein.» Diesen Zeitungsbereich beäugten die Verleger argwöhnisch, um zu sehen, ob es hier am Ende ums grosse Geldverdienen gehen könnte. «Aber», so Kall, «vielleicht ist hier schon wieder ein Schiff am Absinken.» Er selber habe noch keine Entscheidung getroffen. Trotz seinen forschen Expansionsgedanken sagt Kall über den Medienmarkt in seiner eloquenten Art: «Man kann hier nicht mit dem Rasenmäher drüberfahren. Das braucht alles Zeit.»

Ebenfalls ist die Tamedia im elektronischen Bereich aktiv auf Brautschau, als nächstes dürfte eine weitere Radiostation ins Portfeuille kommen. Zum Thema (nationales) Privatfernsehen sagte Kall in Anlehnung an den verstorbenen Tamedia-Sender TV 3: «Das gehört im Moment nicht zu unserem Kernbereich; aber die Tamedia hat viel daraus gelernt.»

Eine Ergänzung zur ganze Reorganisation bildet eine neue «Publizistische Konferenz» unter dem Vorsitz von Verwaltungsratspräsident Hans Heinrich Coninx und Martin Kall als dessen Stellvertreter. Mitglieder sind alle Chefredaktoren, Programmleiter, der Online-Leiter und der Leiter Unternehmenskommunikation (Peter Hartmeier). Dieses Gremium will über die publizistische Ausrichtung der einzelnen Titel diskutieren, Inhalte reflektieren und die publizistische Führung in allen journalistischen Fragen beraten. Zudem will Coninx verstärkt verlegerisch tätig werden und zu diesem Zweck einen publizistischen Beirat bilden, der aus vier bis fünf Personen bestehen soll, deren Namen er im August bekanntgeben will.