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Donnerstag
09.07.2009

Ab Ende September dieses Jahres erscheint der Zürcher «Tages-Anzeiger» in neuer Aufmachung, mit einem neuen Konzept, verfasst und gestaltet von einer um 50 Personen auf 180 Mitglieder reduzierten Redaktion. Die 1893 gegründete Zeitung will sich auf diesen Zeitpunkt gewissermassen neu erfinden und ganz auf die von Internet und Gratiszeitungen geprägte Kommunikationslandschaft einstellen. Insbesondere will der «Tagi» seine bisher wahrgenommene «Chronistenpflicht» abgeben und in der täglichen Berichterstattung mehr Schwerpunkte setzen, sagte Ko-Chefredaktor Res Strehle gegenüber dem Klein Report.

Vorerst eine Frage zur Aufgabenteilung in der Chefredaktion. Wer ist wofür zuständig?
Res Strehle:
Markus Eisenhut übernimmt den zweiten Bund mit der Lokal- und Regional-Information sowie das Wirtschafts-Ressort und den Sport. Ich bin zuständig für Ausland, Inland, Kultur, Leben und Wissen.

Der Abbau von 50 Stellen in der Redaktion hat zu einigem Aufruhr geführt, nicht zuletzt weil die Ressortchefs die Entlassungen auszusprechen hatten. War dies das richtige Vorgehen?
Ich würde auch im Rückblick wieder gleich vorgehen, da die Ressortleiter ihr Team und die Betroffenen am besten kennen. Sie hatten die Entlassungen im übrigen nicht allein auszusprechen, auch das Personalwesen und wir waren beteiligt.

Jetzt zur neuen Zeitung. Was wird neu?
Die Tageszeitung hat sich bisher gewissermassen als «Protokollführerin der Zeitgeschichte» verstanden. Dafür gibt es aber heute die Internetportale und die Gratiszeitungen. Die Qualitätszeitung soll demgegenüber gewisse Schwerpunkte setzen und diese dann vertiefen. Nur im lokalen und regionalen Bereich mag es noch eine gewisse «Chronistenpflicht» geben.

Kann man das an einem Beispiel erklären?
Beispielsweise informiert der Bundesrat am Mittwoch über fünf Entscheide, die er gefällt hat. Früher haben wir oft mehrere ähnlich gewichtet. In Zukunft werden wir stärker auf ein Thema fokussieren, das vertiefen und dafür auch genügend Kapazitäten bereitstellen. Im Fall der Schläger von München würden wir wohl schon am ersten Tag mit mehr Leuten arbeiten und gleichzeitig die Themen für die folgenden Tage planen.

Was heisst das für die Organisation der Redaktion?
Wir schaffen für die zweite Geschwindigkeit ein neues Ressort «Hintergrund und Reporter», das unter der Leitung von Alan Zucker aus rund zehn Leuten besteht.

Wie lange können diese Leute an einem Thema dranbleiben? Wann ist Redaktionsschluss?
Heute müssen Kultur und Leben als erste Ressorts schon um 15.30 Uhr ihre Beiträge abgeben, und die weiteren Ressorts kommen gestaffelt an die Reihe. Künftig wird der Redaktionsschluss der gesamten Ausgabe zwischen 23 und 23.30 Uhr liegen, damit können alle Ressorts aktuell abschliessen.

Heute müssen die Regionalredaktionen ihre Beiträge um etwa 19 Uhr abgeben, was es kaum mehr möglich macht, Abendveranstaltungen zu berücksichtigen. Wird das beispielsweise für die Berichterstattung über Gemeindeversammlungen genutzt?
Genau, das ist die Idee.

Bei der Regionalberichterstattung aus der Zürcher Stammredaktion und den vier Aussenposten in Bülach, Stäfa, Wädenswil und Wetzikon dürfte die Koordination sehr anspruchsvoll sein.
Das ist zweifellos die technisch grösste Herausforderung. Mein Kollege Markus Eisenhut hat entsprechende Erfahrungen von der «Berner Zeitung», weshalb er hier zuständig ist. Inhaltlich wollen wir auch in diesem Bereich eigene Themen setzen und Fragen beantworten, die sich aus der Aktualität stellen.

Wie kommen all die Texte, Bilder und Illustrationen in die Zeitung?
Auch das ist eine Neuerung: Wir führen einen Pool von acht Produzenten ein, welche die Elemente zusammenführen werden.

Wird der neue «Tagi» anders aussehen?
Es gibt ein sanftes Redesign, das die Zeitung hochwertiger aussehen lassen soll. Wir bleiben aber beim 5-spaltigen Umbruch.

In einem sogenannten «Kreativpapier» war von teilweise abstrusen Ideen die Rede, beispielsweise der Vorschlag «1-mal wöchentlich wird ein Deutscher fertiggemacht», oder es solle mehr «High-Risk-Journalismus» betrieben werden. Welchen Stellenwert hat dieses Papier?
Das sind insgesamt etwa 50 Vorschläge, die im Sinne eines Brainstormings ungefiltert in der Redaktion gesammelt wurden. Die Ideen muss man ansehen, und selbstverständlich werden nicht alle realisiert.

Öffnet sich der neue «Tagi» auch für neue Werbeformen wie etwa der für ein Omega-Inserat freigegebene Titel oder die Gratiszeitung «20 Minuten», die für ein neues Getränk auf gelbem Papier erschien?
Es ist klar, dass man die ganze Titelseite wie im Fall der Gratiszeitungen nicht kaufen kann. Eine Anzeige wie das Omega-Inserat wird es nur sehr selten geben und nur dann, wenn unsere Marke nicht tangiert wird.

Was ist das Ziel der ganzen Übung?
Mit einem Aufwand, der die finanziellen Realitäten berücksichtigt, eine Zeitung machen, die zusammen mit Internet und Gratisblättern mehr Leser erreicht.