Content:

Dienstag
19.10.2010

Der Schweizer Presserat hat eine Beschwerde gegen den «Tages-Anzeiger» abgewiesen. Er entschied damit einen Streitfall, der ihm so noch nie unterbreitet worden war. Die Informanten für zwei Artikel über einen Haftpflichtfall zogen nämlich am Schluss ihre Informationen zurück und verboten der Zeitung, über ihr Schicksal zu berichten. Der «Tagi» entschied jedoch, die Geschichte in anonymisierter Form trotzdem zu publizieren, weil der Fall von öffentlicher Relevanz sei.

Die Tageszeitung veröffentlichte die Artikel am 25. und 26. März 2010. Der erste Bericht lief unter dem Titel «Versicherung zahlt knapp 5 Millionen wegen Fehlern bei Hausgeburt», Folge zwei hiess «Kampf gegen `perverse Mechanismen`». Ein Reporter berichtete darin über den jahrelangen Kampf eines Elternpaars mit der Mobiliar-Versicherung. Die Tochter des Paars ist wegen der Fehler einer Hebamme lebenslang schwer behindert. Die Informationen hatten zu einem Grossteil die Eltern geliefert. In ihrer Beschwerde an den Presserat schrieben die Eltern, sie fühlten sich vom «Tages-Anzeiger» «missbraucht, hintergangen und bestohlen». Denn der habe über ihr Schicksal berichtet, obwohl sie ihm das ausdrücklich untersagt hätten. Das Paar sah sich vom «Tagi» unfair behandelt und in seiner Privatsphäre verletzt, der Reporter habe unlauter recherchiert.

Der «Tages-Anzeiger» machte geltend, die Eltern seien aus freiem Willen an die Redaktion gelangt. Der Reporter habe korrekt und im Einvernehmen mit den Informanten recherchiert. Dass diese dann mit dem Artikelentwurf nicht einverstanden waren und ihre Zusage zur Publikation zurückzogen, gehe zu weit. Denn es gebe kein generelles, zeitlich unbefristetes Rückzugsrecht für Informanten.

Der Presserat pflichtete der Redaktion darin bei, wie er am Dienstag mitteilte. Den entscheidenden Schritt Richtung Öffentlichkeit macht ein Informant, wenn er sich an eine Redaktion wendet und Vertrauliches preisgibt. Er kann dann seine Informationen nicht mehr willkürlich zurückziehen und die Veröffentlichung untersagen. Das gälte nur, wenn Informant und Journalist dies speziell vereinbaren. Der Presserat entschied, der «Tagi» habe weder das Fairnessprinzip verletzt noch die Privatsphäre des Elternpaars. Und er befand, der Reporter habe korrekt recherchiert.