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Montag
04.06.2012

«Die Menschen in Syrien gehen auf die Strasse und demonstrieren, weil sie ihre Freiheit wollen und keine Angst mehr haben.» Dies sagte die syrische Journalistin und Schriftstellerin Samar Yazbek in Köln an der Veranstaltungsreihe «Wider die Müdigkeit», die von verschiedenen Literaturhäusern organisiert wird. Nach ihrer Beurteilung versucht das Regime erfolglos, die verschiedenen Religionsgruppen aufeinanderzuhetzen. Für den Klein Report berichtet Roger Blum.

Die 42-jährige Samar Yazbek ist Journalistin und Schriftstellerin und war in Syrien in der Menschenrechts- und Frauenbewegung aktiv. Sie ist Herausgeberin der Onlinezeitschrift «Woman of Syria». Als Autorin schrieb sie Romane, Kurzgeschichten, Filmskripte, Fernsehdramen und ein Tagebuch der Revolution. Sie gehört wie Präsident Baschar al-Assad zur schiitischen Minderheit der Alawiten, opponiert aber gegen das Regime. 2011 nahm sie an mehreren Demonstrationen teil, und weil es für sie zu gefährlich wurde, floh sie aus Syrien und lebt seither in Paris. Zwei ihrer Werke sind auch auf Deutsch erschienen, nämlich das Revolutions-Tagebuch «Schrei nach Freiheit. Bericht aus dem Inneren der syrischen Revolution» (2012 bei Nagel & Kimche Zürich) und der Roman «Zimtduft» (2011 im Alawi-Verlag Köln).

Samar Yazbek nahm im April 2011 im Zuge des arabischen Frühlings an der ersten Demonstration in Damaskus teil. Damals forderte eine Gruppe von Menschen vor dem Innenministerium die Freilassung ihrer gefangenen Ehepartner, Brüder, Schwestern, Söhne oder Töchter. Der Effekt war, dass die Sicherheitskräfte die meisten der Demonstranten zusammenprügelten und ebenfalls einkerkerten. Für Samar Yazbek, die unbehelligt blieb, war dies «ein Wendepunkt in meinem Leben».

In der Folge ging sie an viele Schauplätze der Revolution und schrieb ihr Tagebuch. Sie ist der Meinung, dass das Regime versucht, die verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen aufeinanderzuhetzen, was ihm aber nicht gelinge. So hätten die Machthaber erwartet, dass die sunnitischen Bewohner der Kleinstadt al-Hula die umliegenden alawitischen Dörfer angreifen, was aber nicht geschehen sei. Die dafür vorgesehene Strafe in Form eines Massakers wurde dann trotzdem durchgeführt.

Die Journalistin appellierte an die westliche Welt, angesichts der Gräuel in Syrien nicht einfach zuzuschauen, sondern die Opposition aktiv zu unterstützen. Sie unterstrich, dass die staatlichen syrischen Medien Lügen verbreiten.

Die Sicht Samar Yazbeks bestätigte auch der Journalist und Politikberater Fouad Hamdan, der aus dem Libanon stammt und heute in den Niederlanden lebt. In einer Gesprächsrunde sagte er, das syrische Regime wolle erreichen, dass sich die verschiedenen Religionsgruppen gegenseitig umbringen, was ihm aber nicht gelingen werde. Das gegenwärtige Baath-Regime, «eine laizistische mörderische Diktatur mit faschistischen Zügen», werde fallen, und dann werde es eine Koalitionsregierung aller relevanten Gruppen geben. Die syrischen Sunniten, die die Mehrheit stellen, würden sich vernünftiger verhalten als die irakischen Schiiten, die die ganze Macht für sich beanspruchen, betonte Hamdan.

In der von Thilo Kössler, dem früheren ARD-Korrespondenten in Kairo und heutigen Leiter der Hintergrundabteilung des Deutschlandfunks, kundig geleiteten Gesprächsrunde bestand Einigkeit, dass eine militärische Intervention von aussen die Situation in Syrien nur verschlimmern würde. Die Revolution im Land selber müsse weitergehen.

Die tunesische Journalistin Sihem Bensedrine analysierte, warum die arabische Revolution in den verschiedenen Ländern unterschiedlich verlaufen sei. Überall habe die Bewegung gewaltfrei begonnen. In Tunesien sei das Regime rasch zerbröckelt, weil sich die Armee vom Staatschef Ben Ali lossagte. In Ägypten habe das Militär schliesslich die Macht an sich gerissen. In Jemen und Libyen sei ein solches Überraschungsmoment aus dem Innern des Machtzirkels ausgeblieben, deshalb sei der Verlauf der Revolution langwieriger, komplizierter und blutiger gewesen. In Syrien wiederum habe das Regime geschickt die Kräfteverhältnisse der Region in seine Strategie einbezogen. Der Weg zur Demokratie sei lang, und es gelte, extremistische Bewegungen nicht hochkommen zu lassen, was auch gelingen werde, sagte Bensedrine.

Während Fouad Hamdan den Sturz des gegenwärtigen syrischen Regimes für unausweichlich hielt, warnte der serbisch-bosnische Journalist und Schriftsteller Dragoslav Dedović vor der Annahme, es gebe Unausweichlichkeiten in der Geschichte. Er leitete aus seiner Erfahrung im jugoslawischen Bürgerkrieg ab, dass die kulturelle Radikalisierung, die Anheizung des Konflikts zwischen den Ethnien, durchaus funktioniere. Entscheidend sei in allen autoritären Regimes das Verhalten des Sicherheitsapparates. Dieser wird, wie Fouad Hamdan erläuterte, in Syrien ganz von der Familie Assad kontrolliert. Sie befehlige direkt die Geheimdienste, eine wichtige Division der Armee und die republikanischen Garden. Diese würden bis zuletzt zum Regime halten und dann mit ihm fallen.

Der Auftritt der Journalistin Samar Yazbek und die Diskussion mit Fouad Hamdan, Sihem Bensedrine und Dragoslav Dedović fanden im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Wider die Müdigkeit! Kulturelle Interventionen und literarische Aufwachträume» statt. Diese Reihe mit Veranstaltungen in Köln, Freiburg im Breisgau und Berlin wird organisiert von der Heinrich Böll-Stiftung, vom Literaturhaus Köln und vom Literaturbüro Freiburg. Sie ist stark inspiriert vom arabischen Frühling.