Content:

Donnerstag
17.05.2018

Medien / Publizistik

Al-Qaida-Führer Al-Muhaysini in dem Video

Al-Qaida-Führer Al-Muhaysini in dem Video

Der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS) stand am Mittwoch in Bellinzona vor Gericht. Ein umstrittenes Youtube-Video soll gegen das IS-Gesetz verstossen haben. Der Prozess wirft die Frage auf, wo Journalismus aufhört und wo Propaganda anfängt.

In dem 38-minutigen Video hatte Naim Cherni, Kulturverantwortlicher beim IZRS, ein Militärkader der Nusra-Front interviewt. Dafür war er im Herbst 2015 eigens nach Syrien gereist. Der interviewte Abdallah al-Muhaysini ist laut der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft ein führender Kopf der Al-Qaida-Organisation. Die Unterstützung von Al-Qaida steht in der Schweiz unter Strafe.

Neben Cherni sitzen auch IZRS-Präsident Nicolas Blancho und Medienchef Qaasim Illi in Bellinzona auf der Anklagebank. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, mit dem Interview-Video für den jihadistischen Al-Qaida-Flügel in Syrien Propaganda gemacht zu haben. Damit hätten sie gegen das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen Al-Qaida und Islamischer Staat sowie verwandter Organisationen verstossen. Das heutige IS-Gesetz war nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zunächst als Verordnung erlassen worden. 

Der Strafprozess hat im Vorfeld schon Lärm gemacht. Für den IZRS handelt es sich um einen «politischen Schauprozess» gegen den Islam, wie sie noch vor Prozessstart in einem Schreiben verkündeten. Mit diesem Argument haben sie laut der «Neuen Zürcher Zeitung» am Mittwochvormittag im Gerichtssaal auch die Aussage auf zahlreiche Fragen verweigert, während Staatsanwältin Juliette Noto jede «Gesinnungsjustiz» dezidiert ausschloss. Es gehe einzig um die Frage, ob die drei Angeklagten gegen geltendes Strafrecht verstossen hätten, sagte sie in ihrem Plädoyer.

Und der Prozess wirft medienrechtliche Fragen auf: «Ist es verboten, Terroristen zu interviewen?», fragte Rainer Stadler in seiner NZZ-Kolumne «In Medias Ras» im vergangenen September, nachdem die Bundesantwaltschaft bei Youtube das strittige Video blockieren liess. «Im Journalismus zählt man derlei Produkte zum Genre Hofberichterstattung», fand Stadler damals.

Wo hört Journalismus auf und wo fängt Propaganda an? Was fällt unter den Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit und wo muss das Strafrecht greifen? Als Grenzlinie macht die Bundesanwaltschaft in der Anklageschrift stark, dass der Interviewer Naim Cherni sich dem Interviewten als Autorität untergeordnet und ihm eine propagandistische Plattform geboten hätte. Dies sei etwa daran ersichtlich, dass der Interviewte fast 36 Minuten lang rede, während der Interviewer nicht mal zwei Minuten Redezeit für sich beanspruche.

Doch «was sind das für Richter, die journalistische Distanz zu beurteilen haben? Welche Gewalt werden sie haben, wenn sich gesellschaftliche Konflikte zuspitzen?», fragte vor Kurzem der Strafverteidiger Marcel Bosonnet in einem Artikel von Daniel Ryser in der «Wochenzeitung». Ryser war als Zeuge nach Bellinzona geladen; er hatte für seine preisgekrönte Reportage «Die Dschihadisten von Bümpliz» unter anderem über IZRS-Gründer Qaasim Illi recherchiert.

Ob der Gesinnungsgehorsam des «Journalisten» Naim Cherni reicht, um das strittige Youtube-Video als Terror-Propaganda dingfest zu machen, entscheidet das Bundesstrafgericht in Bellinzona Ende nächster Woche. Den drei angeklagten IZRS-Vorständen drohen bei einer Verurteilung bis zu fünf Jahre Haft.