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Freitag
24.06.2016

TV / Radio

Der pessimistische Kurzfilm «Thun - Stadt der Falten» von Remo Rickenbacher und David Oesch hat auf Youtube bereits nach einer Woche die 12-000-Views-Marke übertroffen. Zum Vergleich: Beim offiziellen Imagefilm «Thun - The place to be» steht der Zähler nach zehn Monaten noch bei 9139 Aufrufen. Der «Heimweh»-Thuner und frühere Lokaljournalist Matthias Engel hat für den Klein Report bei «Stadt der Falten» genau hingeschaut.

Hartnäckig versuchen die Werber dem lange als «Stadt der Alpen» beworbenen Thun ein neues Image zu verpassen: 2006 mit dem Zungenbrecher «Thun Berner Oberland - die Stadt. Lieben. Leben» und 2015 mit dem Film «Thun - The place to be». 2016 ist der Spruch «Thun - Stadt der Falten» in aller Munde. Kreiert hat ihn nicht eine Agentur, sondern die Filmemacher Remo Rickenbacher und David Oesch. Sie haben einen Imagefilm voller atemberaubender Flugaufnahmen und Auftritten von 42 Stadtoriginalen gedreht.

Auch wenn ich selber vor 16 Jahren weggezogen bin, weckt das Filmensemble Heimatgefühle in mir. Diese Frauen und Männer stehen für Thun, mit vielen von ihnen verbinden mich gemeinsame Erlebnisse. Oft waren es - und hier trifft der pessimistische Grundton des Films zu - Niederlagen. Diese Niederlagen teilte ich nicht nur mit FC-Thun-Trommler Kevä. Sondern auch mit den damaligen Politikern Hans-Ueli von Allmen und Ursula Haller.

Zum Beispiel 1997, als Thun noch visionär sein und ein Jugendparlament gründen wollte. Die EDU hängte Karikaturen von saufenden und kiffenden Jugendlichen an die Plakatwände und gewann so ihr Referendum. Weshalb mir auch die «Beizer» aus dem Video gut bekannt sind: Statt im Rathaus konnten wir Jungen nur bei Bädu im Mokka oder bei Hidir im Café Zentral auf den Tisch klopfen.

Wenn man den Film ohne Ton schaut - 41 von 42 Filmrollen sind ohnehin stumm - geht das Konzept auf. Der Text auf dem Off irritiert aber. Sind Gentrifizierung und Attikawohnungen schuld daran, dass Thun so leblos wirkt? Ich teile die Meinung der Filmemacher, die selber «Heimweh»-Thuner sind, nicht: Nicht die Zugezogenen haben in Thun dem Kulturleben und der Lebensfreude so stark zugesetzt. Vielmehr haben die Weggezogenen zu grosse Lücken hinterlassen.

Und warum zogen wir weg? «Du bisch vo Thun, wenn...» du vor deinem 30. Geburtstag dreimal den Job verloren hast. Oder «du bisch vo Thun, wenn...» du dich erinnerst, wie ein Rentner vor der zugesperrten Spar- und Leihkasse Thun zusammenbrach, weil unsere Bank nicht «too big to fail» war. Eine solche bittere wirtschaftliche Realität führt dazu, dass man sich vor einer Stadt entfremdet - und nicht, wie im Film süffisant behauptet, weil «jeder zweite Laden Brillen oder Hörgeräte verkauft».

Der Wortwitz des Films gefällt mir aber. Höhepunkt ist seine Definition des «Fulehung»-Festes als «grösstes masochistisches Happening». Zudem schenkt uns Hidirs Auftritt eine der schönsten Kussszenen der Schweizer Filmgeschichte. Gerne hätte ich aber auch etwas gehört von ihm und den anderen Filmstars. Nämlich, warum eigentlich sie selber Thun noch nicht aufgegeben haben. Dann wäre «Thun - Stadt der Falten» wirklich ein Film über Thuner. In der vorliegenden Form ist es eher eine Geschichte über «Heimweh»-Thuner, die genauso gut Lukas Bärfuss hätte erzählen können.