An den Solothurner Filmtagen laufen nicht nur viele (teilweise auch überflüssige) Bilder, sondern werden auch viele Worte gewechselt - auf der Leinwand und daneben. Und so lud der Schweizerische Verband der Filmjournalisten (SVFJ) zur aktuellen Podiumsdiskussion ins Stadttheater: «Dialekt versus Hochdeutsch - Welche Sprache für den Deutschschweizer Film?» Es berichtet Klein-Report-Filmexperte Rolf Breiner.
Bereits Filmer und Produzent Samir (Dschoint Ventschr) hatte sich über das Hochdeutsch im Eröffnungsfilm «Manipulation» mokiert, der von den Topschauspielern Klaus Maria Brandauer (Österreich) und Sebastion Koch (Deutschland) getragen und geprägt wurde. Ein Schweizer (Diggelmann) lieferte die Vorlage, die Handlung ist klar in der Schweiz (Zürich) angesiedelt, es geht um Schweizer Täter und Opfer, Ängste und Machenschaften.
Ein Basler, Pascal Verdosci, führte Regie und dann dieser dialektfreie Film! Auch Regisseurin Bettina Oberli («Die Herbstzeitlosen», «Tannöd») konnte sich an der Podiumsdiskussion mit dem hörbaren Ergebnis nicht anfreunden: «Mich hat das Hochdeutsche gestört - beim Schauplatz Zürich, bei einem Schweizer Stoff. Der Film hat so seine Identität verloren und blieb für mich ein Konstrukt, etwas Abstraktes.»
Welches ist die richtige Sprache für den Deutschschweizer Film? Moderator Beat Glur, scheidender Präsident des SVFJ, suchte in der Diskussionsrunde Klärung - bei den Filmemachern Bettina Oberli, Markus Imhoof («Das Boot ist voll», «Der Berg»), Katalin Gödrös («Songs of Love and Hate») und Mike Schaerer («Stationspiraten»).
Markus Imhoof, der Linguistiker des Schweizer Films, lebt in Berlin. Er akzeptiert den Dialekt, neigt aber der hochdeutschen Sprache zu. Er warnt aufgrund eigener schlechter Erfahrung davor, ein Exposé in Dialekt (Dialoge!) nach Bern zu schicken. Manche verstünden dort eben das phonetisch Geschriebene nicht. Imhoof billigt dem Dialekt freilich zu, dass er «am dichtesten bei den Gefühlen» sei. Bettina Oberli, die Bernerin, blickt auf ihrer Erfahrungen mit Berndeutsch («Die Herbstzeitlosen») und Bayerisch («Tannöd») zurück. Ihr Fazit: «Ich mache nie mehr einen Film mit einem Dialekt, den ich nicht selber beherrsche.»
Michael Schaerer setzt bei seinem Kinowerk «Stationspiraten» rigoros auf Dialekt und hat das ursprünglich auf Hochdeutsch geschriebene Drehbuch übersetzen und umschreiben (Dialoge) lassen. Sein Fazit: «Wenn der Film klar in der Schweiz verortet ist, gibt es nur die Dialektversion.» Die Schweizer Regisseurin Katalin Gödrös, just am Max-Ophüls-Festival mit dem «Präsidentenpreis» ausgezeichnet, empfindet Hochdeutsch als Sprache der Literatur und meint, dass neben der Mundart, dem Dialekt, auch geschriebene Sprache eine Heimat sei. Markus Imhoof bringt es auf den Punkt: «Es kommt darauf an, wie Sprache formuliert und wie sie ausgesprochen wird. Dialekt und Realismus - das hat wesentlich auch mit den Stil und dem Genre des Films zutun.»
Das Spielfeld ist klein: Ein Deutschschweizer Dialektfilm, ob Kino oder TV, erreicht ein potenzielles Publikum von vier Millionen Menschen. Und einen schwyzerdütschen Film gibt es eh nicht, auf die Mundart kommt es an. Ein Schweizer Erfolg ist damit jedoch nicht garantiert.
Aber: Ein Zürcher Film wie «Sträss» floppte in Bern und Basel. Der Dialekt bleibt ein Thema in der Deutschschweiz - vom Kindergarten bis zu den Nachrichten, Meteo, Verkehrsmeldungen - da scheiden sich die Geister. Der Dialekt im Film kann Schauplatz, Umwelt und Klima (Befindlichkeiten) definieren, er ist Ausdrucksmittel und Identitätsmerkmal. Die Frage, ob sich ein (Deutsch-)Schweizer Film durch Dialekt definiert und identifiziert, bleibt offen. Das Wort, die Sprache sind Teil des Films, sind aber nicht Bedingung, sondern nur Ausdruck- und Stilmittel. Es gibt auch heute noch viele, die wortlos, aber doch beredt sind. Ein solches Beispiel war auch in Solothurn zu sehen, und zwar «Le quattro volte» von Michelangelo Frammartino.
Donnerstag
27.01.2011




