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Dienstag
10.10.2017

Medien / Publizistik

Österreich: Quotentief der Demokratie

Österreich: Quotentief der Demokratie

Österreich wählt am 15. Oktober. Nach der unglaublichen Wahlpanne bei der Präsidentschaftswahl 2016 ist nun das Parlament an der Reihe. Seit Ende 2013 regierte die schwarz-rote Koalition, seit Mai dieses Jahres ist Schluss. Zur Wahl stellen sich unter anderem die Kandidaten Christian Kern (SPÖ), der ÖVP-Chef Sebastian Kurz - dessen Partei nicht mehr so heisst, sondern als «Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei» fungiert - und Heinz-Christian Strache (FPÖ).

Peter Pilz kandidiert auch, der verstossene Stammvater der Grünen, und Matthias Strolz für die NEOS, die Österreich «enkelfit» machen wollen. Kurz Schlagzeilen machte die «Dirty Campaign» - gefälschte Facebook-Seiten zu Ungunsten des Spitzenkandidaten Kurz -, sonst wurde die Wahl in Österreich international nur in Teilen besprochen. Für den Klein Report kommentiert Politologin Regula Stämpfli den skurrilen Wahlkampf unseres Nachbarlandes.

«Funny Games» ist der sadistischste, voyeuristischste und furchtbarste Film des rigorosen Moralisten Michael Haneke. Der Filmemacher gibt zwar vor, die Gewalt nur zu sezieren, nicht sie zu fördern. Die Verantwortung für die Imagination indessen, die allem Bösen (oder auch Guten) voranschreitet, weist er selbstverständlich von sich.

An ihn fühlte ich mich als Wahlkampfbeobachterin in Wien und Salzburg immer wieder erinnert. Denn die grausame Ohnmacht, die «Funny Games» seit 1997 bei den Zuschauenden hervorruft, spürt man auch angesichts der diesjährigen medialen Inszenierungen der österreichischen Wahlen.

Da finden wahrhafte Exekutionsorgien gegenüber der Demokratie statt. Von Medienkritik weitgehend unbelästigt wüten soziale, asoziale, öffentlich-rechtliche Medien in den Restbeständen demokratischen Anstands.

Eiskalte Nicht-Politik, Strassenstrich-Branding und ideologisches Neusprech inklusive bestimmen alle Kanäle: Österreichs Medien sind 2017 ganz weit vorne, wenn es darum geht, ihre Demokratie und ihre Politiker regelrecht in mediale «Käfighaltung» zu sperren (O-Ton SZ).

Auch in den Schweizer Medien ist die mediale Gewalt gegen die Demokratie im bergverwandten Nachbarland kein Thema. Dabei hat der Österreichische Rundfunk (ORF) ein neues Reality-Format kreiert: «Nationalraten». Dies erinnert an Hunger-Games ohne Tote und ist ein Politainment-Format, das Wahlen zu einem von Demoskopen ausgewählten Kolosseum zwischen Politikern und Quiz-BürgerInnen degradiert.

«Richtig» und «falsch» sind die Karten, die im «Nationalraten» hochgehalten werden müssen - deliberative Politik ist in diesem Kontext nicht nur ein Fremdwort, sondern schon längst auf dem Müllhaufen österreichischer Partizipationsträume vermodert. Klar doch: Die Fragen sind eher harmlos. Klar doch: Meine jungen Mitbewohner finden: «Ist doch lustig. Vielleicht gehen dank dem Quiz auch mehr junge Leute wählen.» Naja. Youtube verzeichnete gerade 7857 Views.

Die Medienspektakel beweisen am Beispiel Österreichs, dass Demokratie, Zivilgesellschaft, politische Kultur, politische Bildung, gemeinsames Aus- und Verhandeln, Partizipation, Freiheiten vom und zum Staat wesentlich mehr brauchen als einen Hashtag, ein unglaublich schlechtes Quiz, gefakte Facebook-Profile und unzählige TV-Duelle.

Selbst der «Standard» fragt nach einem der unzähligen TV-Spektakel seine Lesenden: «Wie war Ihr Eindruck? Gab es einen Sieger? Ein Unentschieden? Oder eh wurscht?» Dabei sitzt man nicht im Café Sperl, sondern man ist aufgefordert, die nächsten vier Jahre Zukunft zu gestalten.

Die Fussballinszenierungen verhunzen nicht nur das System, sondern verkaufen alle Wählenden des Landes für saublöd. «In media ergo sum» - Hauptsache die Quote stimmt. So jubeln die Privatsender schon über Zuschauerrekorde. Wetten, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis die Kandidaten vor laufender Kamera kopulieren und das Publikum mit Daumen hoch oder runter via Bildschirm direkt nach dem Akt das Parlament «bestücken» kann?