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Montag
04.02.2013

Wie steht es um den politischen Journalismus in der Schweiz? Zurzeit läuft eine Debatte, die nötig ist, weil sie die Schwierigkeiten und Defizite der politischen Berichterstattung aufzeigt. Christof Moser hat im «Sonntag» eine wichtige Debatte angestossen, die recht lebhaft geführt wird: Erfüllt der politische Journalismus in der Schweiz seine Aufgabe noch? Oder hat er abgedankt? Für den Klein Report kommentiert Roger Blum.

Der politische Journalismus ist neben dem Katastrophenjournalismus die älteste Form des Journalismus überhaupt. Nach einer Vorphase in der Reformationszeit, als Flugschriften mit theologischen und politischen Inhalten zirkulierten, berichteten die frühen Journalisten des 17. Jahrhunderts vor allem über Kriege, Katastrophen, Könige und über die Erlasse der jeweils zuständigen Regenten. Eine Kultur-, Wirtschafts-, Sport- oder Lokalberichterstattung gab es noch nicht.

Durch die Französische Revolution und den Gründungsprozess der Vereinigten Staaten von Amerika begann im 19. Jahrhundert die Blütezeit des politischen Journalismus: Jetzt hatte er sich mit Volksversammlungen, Parlamentsdebatten, Wahlen und Abstimmungen zu befassen, und niemand hielt mehr mit seiner Meinung zurück. Bis heute hätte der politische Journalismus zu berichten über Regierungen, Parlamente, Parteien, Lobbys, Wahlen, Abstimmungen, Krisen, Kriege und politische Themen auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene, und er hätte als Seismograph politischer Entwicklungen zu fungieren. Tut er es? Jedenfalls nicht zureichend.

Zwar erfährt, wer die Medien konsultiert, durchaus etwas vom Regierungshandeln und von den Parlamentsdebatten in seinem Land. Jene Fragen, die die politischen Akteure, aber auch interessierte Bürgerinnen und Bürger umtreiben, werden diskutiert - in Talkshows und an Veranstaltungen, in redaktionellen Kontroversen und in Interviews, auf Leserbriefseiten und in Chat-Rooms, auf Facebook und auf Twitter. Die Medien engagieren sich vor Wahlen und Volksentscheiden mit besonderem Einsatz. Sie kümmern sich um die Demokratie.

Aber die Medien vernachlässigen teilweise die europäische und die regionale Ebene - international den Europarat und das europäische Parlament, regional in der Schweiz die Kantone und Gemeinden. Sie vernachlässigen die Parteien. Sie sind an verschiedenen öffentlichen Versammlungen nicht präsent. Und vor allem: Ein Teil der politischen Journalistinnen und Journalisten ist unkundig, ein anderer Teil ist zu kompliziert.

Die Unkundigen führen Interviews, ohne das Thema vertieft zu kennen, und geben somit dem Gesprächspartner die Möglichkeit, ohne Widerspruch das zu sagen, was er für richtig hält, auch Unwahres, auch reine PR, auch Hochgestapeltes. Die Unkundigen begeben sich an Medienkonferenzen, ohne die dazu notwendigen Dossiers studiert zu haben. Sie meiden Kontakte mit politischen Akteuren. Man trifft solche Journalisten auf allen Ebenen, in allen Ländern, bei allen Medientypen. Wie gross ihr Anteil ist, lässt sich schwer sagen.

Die Komplizierten sind jene, die reden und schreiben wie die politischen Akteure, indem sie Begriffe und Abkürzungen brauchen, die den Insidern geläufig sind, die aber der Bevölkerung nichts oder nichts Klares sagen, in der Schweiz etwa Formeln wie NFA, LSVA, KVG, VAG, Fabi, in Deutschland beispielsweise ISAF, SGB, DualPlus, Riester-Rente, Hartz IV - und zwar, ohne dies wirklich zu erklären.

Wenn politische Journalistinnen und Journalisten kompetent sind und die Dossiers kennen, dann sollten sie sich nicht an jene wenden, die diese Kenntnisse ebenfalls haben sollten, also an die politische Elite, sondern an die Bevölkerung. Sie sollten sich nicht wie italienische politische Journalisten mit «millecinquecento lettori», mit 1500 Lesern begnügen, wie sich Enzo Forcella einst ausgedrückt hat, sondern sie sollten Politik erklären, sie für möglichst viele Menschen verstehbar machen. Es geht im Sinne des französisch-deutschen Politologen Alfred Grosser um «L`explication politique».

Wenn die Menschen am Fernsehen ein Fussballspiel verfolgen, dann kennen sie die Regeln. Sie können mitreden. Man muss ihnen nicht jedes Mal neu erklären, was ein Strafstoss oder ein Abseits ist. Die meisten Menschen sind sportkompetent. Das Gleiche gilt für Konsumententhemen: Wenn das Benzin teurer wird oder wenn das Rindfleisch vergiftet ist, dann wissen die Leute, wovon die Rede ist. Bei politischen Themen ist das weniger der Fall. Viele Bürgerinnen und Bürger kennen sich in den Institutionen, Verfahren und Themen nicht so genau aus. Und da sind just die politischen Journalistinnen und Journalisten gefordert - als Kenner, die dem breiten Publikum den Stoff fesselnd erzählen, verständlich vermitteln, übersetzen.

Politische Journalisten sind solche, die die Institutionen lieben - und die dem Geschehen in diesen Institutionen etwas Spannendes abgewinnen. Dabei geht es nie ohne Personalisierung. Aber es gibt die billige und die anspruchsvolle Variante der Personalisierung. In der billigen Variante wird zusammenhangslos ein politischer Akteur porträtiert - wie er aufwuchs, wie er lebt, was er schätzt. In der anspruchsvollen Variante wird die Person immer vernetzt mit Themen, Ideen und Positionen. Die Person dient dazu, komplexe Sachverhalte einfacher zu vermitteln. Damit man die Personen trifft, genügt es nicht, die Politiker dann und wann in der Wandelhalle des Parlamentes aufzustöbern. Man muss an die Parteitage gehen, den Abgeordneten in ihren Wahlkreisen nachspüren, die Themen in konkreten Zusammenhängen beschreiben.

Politischer Journalismus ist anspruchsvoll, gewiss. Aber ihn zu betreiben ist auch äusserst spannend und reizvoll. Viele können das. Zu viele haben noch Nachholbedarf.