Der Schweizer Presserat stellt am Dienstag fest, dass «Blick» in der sogenannten Zuger Sex-Affäre den Journalistenkodex gleich in mehreren Punkten verletzt hat. Eine Beschwerde der Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin heisst er gut.
Eine Rückblende – was war passiert? Am 24. Dezember 2014 schrieb «Blick» auf seiner Titelseite: «Sex-Skandal um SVP-Politiker» - beziehungsweise in Grossbuchstaben - «Hat er sie geschändet?». Von den beiden mutmasslich Beteiligten veröffentlichte die Boulvardzeitung die vollen Namen und Porträt-Bilder auf der Titelseite und auf Seite 5. Weiter schrieb «Blick»: «'Blick' weiss: SVP-Kantonalpräsident Markus Hürlimann (40) soll mit der grünen Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin (34) Sex gehabt haben. Offenbar wurden der jungen Frau sogar K.-o.-Tropfen in die Getränke gemischt.»
Der Schweizer Presserat betont, dass im Journalistenkodex (Richtlinie 7.7) klar stehe: «Bei Sexualdelikten tragen Journalistinnen und Journalisten den Interessen der Opfer besonders Rechnung. Sie machen keine Angaben, die ihre Identifikation ermöglichen.» Gemäss seiner Stellungnahme am Dienstag bedeutet dies nun, dass die Zeitung mit Sitz an der Dufourstrasse in Zürich «zu diesem Zeitpunkt offensichtlich davon ausgegangen ist, dass es möglicherweise zu einem Sexualdelikt gekommen war. Mit der Identifizierung des mutmasslichen Opfers hat 'Blick' den Opferschutz verletzt.»
Mit der Einstellung des Verfahrens acht Monate nach Erscheinen dieses Artikels ist rechtskräftig festgestellt, dass kein Sexualdelikt vorliegt. Deshalb habe sich der Presserat die Frage gestellt, ob «Blick» über einen möglichen sexuellen Kontakt der beiden hätte berichten dürfen.
Auch da zitiert der Presserat aus dem Journalistenkodex (7.1 Schtuz der Privatsphäre): «Jede Person – dies gilt auch für Prominente – hat den Anspruch auf den Schutz des Privatlebens.» Ganz besonders würde dies für die Intimsphäre gelten. Der Presserat begründet: «Ein möglicher sexueller Kontakt gehört eindeutige in den Bereich der geschützten Intimsphäre. Ein dem Schutz der Intimsphäre entgegengesetztes überwiegendes öffentliches Interesse besteht in der Regel nicht.»
«Blick» argumentierte im Presseratsverfahren, dass eine Co-Präsidentin und ein Präsident von zwei sonst «die Extreme des Parteienspektrums besetzenden Parteien» intimen Kontakt gehabt haben sollen, gebe dem Vorgang eine Dimension, die ihn aus dem privaten Bereich heraushebe.
Diesem Argument entgegnet der Schweizer Presserat, dass im Artikel vom 24. Dezember 2014 eine allfällige politische Relevanz allerdings nicht erwähnt wird: «Selbst wenn 'Blick' eine politische Relevanz thematisiert hätte, wäre ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer Publikation kaum zu rechtfertigen. 'Blick' hat deshalb auch die Privat- und Intimsphäre von Spiess-Hegglin verletzt.»
Der Schweizer Presserat hebt den mahnenden Finger und hält fest, dass das spätere Verhalten der Beteiligten nicht im Nachhinein als Rechtfertigung solcher Verletzungen beansprucht werden kann. Bei einer Verdachtsberichterstattung müssen Journalisten besonders vorsichtig sein.