Ob ein Witz lustig oder geschmacklos ist, spielt medienethisch keine Rolle. Die Fakten, die einer Satire zugrunde liegen, müssen bei aller Übertreibung und Verfremdung aber stimmen. Die Grenze, wo die Fakten aufhören und das Spiel damit anfängt, ist nicht immer leicht zu ziehen.
Entzündet haben sich diese Fragen an zwei Kolumnen der Davoser «Gipfel Zytig», gegen die die IG offenes Davos im Oktober 2014 beim Schweizer Presserat geklagt hatte. In der einen erklärte eine Asylbewerberin ihrem Sohn: «Demokratie ist, wenn der Steuerzahler jeden Tag arbeitet, damit er uns helfen kann, dass wir alle hier gratis wohnen können, Krankenkasse-Unterstützung erhalten sowie gratis Essen und Taschengeld bekommen.»
In der anderen, kurze Zeit später erschienen Satire antwortete der Erzähler auf die Frage «Ernähren/unterhalten Sie neben sich selbst noch andere Personen?» im Formular der Steuererklärung mit «Ja: 185 000 illegale Immigranten, 236 000 Arbeitslose und Arbeitsscheue, 42 000 Inhaftierte in über 27 Gefängnissen, über 400 000 Asylanten und letztendlich auch noch alle Deppen in unserem Parlament.»
Zwar enthalten die beiden deftigen Texte Werturteile über die Begriffe Demokratie, Steuerfragen und Rassismus unter Anspielung auf Asylsuchende, illegale Immigranten, Arbeitssuchende, Inhaftierte und Parlamentarier, hielt der Presserat in seiner am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme fest. Und es lasse sich «sehr wohl darüber streiten, ob die beiden ‚Witze’ lustig respektive geschmacklos sind oder nicht.»
«Der Presserat äussert sich jedoch nicht zu Geschmacksfragen», machte er klar, dass ästhetische Urteile nicht zu seinem Job gehören. Zu möglichen diskriminierenden Äusserungen, die laut Ziffer 8 des berufsethischen Kodex verboten sind, muss der Rat hingegen Stellung nehmen. Abwertende Äusserungen gegen eine Gruppe oder ein Individuum müssen aus medienethischer Sicht «eine Mindestintensität erreichen, um als herabwürdigend oder diskriminierend zu gelten».
In den umstrittenen Kolumnen ist das für den Rat nicht erfüllt. «Die ‚Witze’ diskriminieren keine der genannten Gruppen von Menschen», urteilte er und wies die Beschwerde in diesem Punkt ab.
Die Wahrheitspflicht hat die «Gipfel Zytig» mit der Steuererklärungs-Kolumne dagegen verletzt. Schon vor über zwanzig Jahren hatte der Presserat in einem Leitentscheid festgehalten, dass auch für die Satire in den Medien die Wahrheitspflicht gilt. Natürlich darf die Satire übertreiben und verfremden, das macht sie ja aus. «Jedoch müssen die Fakten stimmen, von denen die Satire ausgeht.»
Welche Teile einer Satire zum «materiallen Kern» gehören, der es genau nehmen muss mit der Realität, und welche Teile sich als «Übertreibung» oder «Verfremdung» Freiheiten herausnehmen können, ist oft nicht leicht zu entscheiden. Da die eine Satire der «Gipfel Zytig» jedoch mit Zahlen jonglierte, ist in diesem Fall die Grenze klar: Zahlen gelten als Widerspiegelung von Fakten und hätten daher auch stimmen müssen.
Obwohl der Presserat nicht dazu da sei, die Korrektheit von Zahlen zu überprüfen, hat es die «Gipfel Zytig» zu wenig genau genommen mit der Faktentreue, wie schon nur die angeblich präzise Bezifferung der in der Schweiz lebenden Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung zeigt.