Brexit, US-Wahlen und Putins Russland: Die Beziehung zwischen den sozialen Medien und den demokratischen Institutionen steht auf dem Prüfstand. Laut einer neuen Studie der Universität Oxford bedrohen die Bots - Computerprogramme, die automatisch und autonom agieren - die Demokratie. In Russland sollen mittlerweile sogar die Hälfte aller Interaktionen auf Bots zurückzuführen sein.
Medienexpertin Regula Stämpfli hat für den Klein Report die Studie kritisch angeschaut.
Die Oxford-Studie bezichtigt alle sozialen Medien, die westlichen Demokratien zu unterwandern. Facebook, Twitter et al. hätten wenig mit freiem Meinungsaustausch und Information, sondern viel mehr mit programmierter Propaganda zu tun. Dass die ungleichen Spiesse der Information, Kommunikation und Propaganda die Gleichheit vor dem Gesetz untergraben können, gehört zum ehernen Gesetz der Mediendemokratie. Diesbezüglich ist an den Interaktionen der sozialen Medien nichts wirklich neu. Denn das Politainment hat schon vor Bots, Hashtags und Hyperlinks für grosse Informationsverzerrungen in der demokratischen Willensbildung gesorgt.
Weshalb also die Aufregung? Die neuen Möglichkeiten der technischen Revolutionen verschärfen die schon existierenden Mechanismen der «Nicht-Information». Bei Wahlen und Sachthemen stehen nicht demokratische Prozesse im Vordergrund, sondern die Akteure, deren «Brand» sowie das Skandalisierungs- und Trivialisierungspotenzial. So wie heute Bots PR automatisieren, funktionierten aber auch schon die klassischen Medien. Das Referenzkarussell und das Voneinanderabschreiben war einfach etwas weniger schnell, aber nicht minder effektiv.
Was ist neu? Erstens das technische Know-how und die Geschwindigkeit. Die Voraussetzung für effektive Wahlbots liegen in fünf und mehr Seiten, die «Fake News» zugunsten des Kandidaten oder des Themas bilden. Diese Seiten klicken sich mittels Cross-Referenzen hoch.
Schon jetzt gibt es zahlreiche Fake News Agencies, manchmal auch ganz einfach «Social Media Managers», die für tägliche Updates und Feeds sorgen. Dies kostet schon einen ganzen Batzen Geld.
Wie funktionierte dies früher? «Fake News» wurden von Einflüsterern, ehemaligen Journalisten, Lobbyisten oft auch den Männern fürs dreckige Geschäft gesteckt. Beispielsweise indem völlig irrelevante persönliche Vorlieben zum Politikum hochstilisiert wurden. Oder es wurden Schlagzeilen generiert («Ursula Koch liest keine Zeitungen»), die völlig «fake», aber sehr effektiv persönlichkeitsschädigend wirkten (damals vor allem innerhalb der Partei).
Zweitens werden die Fake-Seiten nun untereinander verlinkt und via andere Kanäle verbreitet: Facebook und Youtube sind meist Zweitverwerter der künstlichen Falschblogger-Seiten oder der Fake News Agency - auch die Kommentare werden automatisch generiert. Dies gab es früher auch schon. «20 Minuten» konnte beispielsweise einen Imageschaden generieren, der von allen Medien aufgenommen, in Kolumnen weiterverbreitet und im Fernsehen auch öffentlich-rechtlich verhandelt wurde. Lediglich im Umfang der automatischen Replikation unterschieden sich soziale Medien von den klassischen Medien.
Drittens werden die Fake News, respektive die Propaganda für die Kandidatin oder das Thema, «sexy» auf den Punkt gebracht, so dass die klassischen Mainstream-Medien entweder auf den Skandal oder auf den Inhalt der Fake-News-Seite aufspringen. Hier interagieren Alt und Neu: Die sozialen Medien füttern mit Bots den Umfang, multiplizieren die Aufmerksamkeit, die klassischen Medien und Interaktionskanäle, vor allem die einzelnen Journalisten, übernehmen dann die Inhalte, Bewertungen und die Relevanz (meist auch unbewusst).
Viertens werden die Mainstream-Medien dann ihrerseits in den sozialen Medien nach Präferenzgruppen wiederverwertet, weiter verteilt, so dass die «Fake News» schon längst im allgemeinen Rauschen der Information angekommen und als normale Nachrichten wahrgenommen werden. Auch dies war «früher» nicht anders. Da agierten klassische Medien gegen jemanden oder für jemanden - egal, ob die Informationen über die betreffenden Personen fake oder richtig waren.
Fünftens werden aus den unterschiedlichsten realen und robotergenerierten Akteuren Communities generiert, die ihrerseits neue Fake-Seiten, Agenturen, Bots und die Reaktion der klassischen Medien darauf zum Rauschen und Gestalten bringen. Schon längst ist daran alles fake, da völlig frei von Realität gestaltet, doch dies ist im ganz alltäglichen finanzkapitalistischen Geschäft ja nicht viel anders. Das Wahlspiel «Maschine gegen Mensch» ist ein Kommunikationskreis, der sich von Daten zu Menschen und von dort wiederum in Daten verwandelt, die dann mit, in und auf Menschen reagieren: Was daran wahr oder nicht-wahr ist, ist völlig irrelevant. Der Wiederholungseffekt ist dabei entscheidend.
Was tun? Statt neue Bots, Techniken oder gar «Fake News»-Software zu entwickeln, müssen die Kommunikationsstrukturen, die Demokratie und deren Finanzierung völlig neu gedacht werden. Neu ist an den sozialen Medien nämlich noch fast nichts und das ist die wirklich schreckliche Nachricht in dieser Geschichte. Neben dem Fakt, dass vor lauter Bots Macht, Korruption, neofeudale Verhältnisse und wirkliche Unrechtsstaats-Taten nicht so diskutiert werden, dass sie zur Verurteilung und Beseitigung dieser real demokratiezersetzenden Institutionen, Akteure und Bewegungen führen.