Ab Montag, 13. März, ist Christian Dorer in den Zwangsferien. «Grund dafür sind Hinweise und Meldungen, dass Christian Dorer gegen den Code of Conduct der Ringier AG verstossen haben soll. Im Raum stehen Vorwürfe von bevorzugter Behandlung einer bestimmten Mitarbeitenden-Gruppe und eine zu wenig klare Differenzierung von Privat und Geschäft.» Das publizierte Ringier am 8. März dazu.
Hinweise und Meldungen? Vom Hörensagen, wie der Jurist sagen würde. Scheinheiligerweise versteckt sich das «Management der Ringier-Gruppe», wie es in der Mitteilung heisst, hinter der Formulierung, man habe «in Übereinstimmung mit dem Chefredaktor der Blick-Gruppe, Christian Dorer, entschieden, dass Christian Dorer ab kommendem Montag, 13. März, für die Dauer von sechs Monaten eine Auszeit nimmt».
Welche Hinweise und Meldungen? Wenn es korrekt abläuft, muss jetzt ein absolut stichhaltiger Beweis auf den Tisch, dass der Chefredaktor der Blick-Gruppe sich in personalrechtlicher oder strafrechtlicher Art und Weise falsch verhalten hat. Ansonsten hat Ringier ihren Mitarbeiter durch eine Vorverurteilung der Medienmeute zum Frass vorgeworfen.
Für Insider bei Ringier stellt sich nun die Frage, ob damit das Kapitel Dorer bei Ringier Geschichte ist. Und es bleibt die Frage, ob das Verlagshaus zu spät auf die Hinweise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reagiert hat.
Es galt absolute Anwesenheitspflicht im Hause Ringier, nur das Büro Bern war virtuell zugeschaltet, als Ladina Heimgartner, CEO der Blick Gruppe, die Bombe platzen liess.
Auch wenn Christian Dorer in der Samstagsausgabe des «Blicks» noch seine Sicht der Dinge zur Wohnungsnot in der Schweiz zum Besten gab, wurden hinter den Kulissen bereits alle Aktivitäten Dorers gestoppt oder gelöscht. «Die Ära Dorer bei Ringier ist definitiv vorbei. Es wird deshalb auch kein Comeback von ihm geben», so ein Insider gegenüber dem Klein Report. «Christian Dorer hat es nachweislich nicht geschafft, Privates und Beruf strikter zu trennen. Er hatte kein Privatleben, sondern war sieben Tage die Woche vor allem eins: Chefredaktor», so mehrere seiner engsten Mitarbeiter übereinstimmend.
Viele Ringier-Mitarbeitende sind auch einige Tage nach der Verkündung noch geschockt: Nicht nur, weil Ringier Dorer per sofort aufs Abstellgleis gestellt hat, sondern auch, weil die Vorwürfe, dass der Aargauer Privates und Geschäft nicht sauber getrennt habe und seine Führungsrolle für seine Zwecke missbraucht haben soll, doch happig sind.
Der «Tages-Anzeiger» schreibt denn wie auch schon der Klein Report, dass die Vorwürfe nicht neu sind. In der Samstagsausgabe heisst es unter anderem, dass bereits in Dorers Zeit bei der «Aargauer Zeitung» seine Präferenz für hübsche junge Männer Gesprächsthema gewesen sei. Und auch seit seinem Wechsel zu Ringier 2017 blieb Dorer seinem Credo treu: Er förderte nur junge Männer und schmückte sich auch gerne mit ihnen.
Doch nun wissen die meisten erwachsenen Menschen, dass es zwischen Förderung und Belästigung eine feine, aber wichtige Linie gibt. Und seit dem Skandal um Finn Canonica bei der Tamedia (TX Group), der nicht nur die Schweizer Medienlandschaft aufrüttelte, sind die CEOs der Verlagshäuser überraschend hektisch geworden. So auch Ringier: Dabei wurden auch die Sexismus- und Mobbing-Vorwürfe Canonicas vor den Mitarbeitenden erwähnt.
Der Klein Report fragt sich, darf man Christian Dorer in einem Atemzug mit Finn Canonica erwähnen? Die jungen Männer, die sich bei der «Aargauer Zeitung» und bei Ringier vom Chefredaktor möglicherweise bedrängt fühlten, haben sich teilweise sehr differenziert im Tagi-Artikel anonym geäussert.
Beim «Tages-Anzeiger» fasst man die Nachfrage bei Betroffenen so zusammen: Die Gespräche haben gezeigt, dass einige «von der ganzen Sache profitiert» hätten, wie die berufliche Förderung umschrieben wurde, und dass sich die meisten von ihnen «nicht als Opfer» sähen.
Der «Tages-Anzeiger» zitiert einen Journalisten folgendermassen: «Es sprach nichts dagegen, und ich würde die Freundschaft wieder eingehen.» Und es wird angefügt: «‚Ich sehe mich nicht als Opfer.‘ Sie hätten – das sagen unabhängig voneinander alle – in erster Linie von der guten Beziehung zu Dorer profitiert. Mehrere Personen sprechen von ‚langjähriger Freundschaft‘».
Im Artikel kommt auch der emeritierte Rechtsprofessor Thomas Geiser zu Wort. Er beobachte, «dass Unternehmen zuweilen überreagieren, wenn es um Missbrauchsvorwürfe geht», so der Jurist. «Diese Gefahr ist sehr gross.» Der Tagi schreibt: «Im Fall von Dorer habe der Verlag die Vorwürfe gegen den Chefredaktor in der Medienmitteilung zwar nicht ausgeführt, aber es sei der Eindruck erweckt worden, dass er Untergebene belästigt habe. So nehme man das zwischen den Zeilen wahr. Das sei sehr heikel, falls die Untersuchung zeigen sollte, dass dies nicht zutreffe. ‚Denn es ist vorverurteilend‘»
Christian Dorer werde «für die Dauer der Abwesenheit weiterhin formell Chefredaktor der Blick-Gruppe bleiben, sein Amt jedoch weder publizistisch noch administrativ ausüben», schreibt Ringier in dieser ominösen Medienmitteilung vom 8. März. Interimistisch übernehmen Steffi Buchli (Chefredaktorin Blick Sport) und Andreas Dietrich (Chefredaktor Blick) in Co-Leitung die publizistische Verantwortung.
Der Klein Report erwähnte am selben Tag, dass Verleger Michael Ringier wieder auf der Kommandobrücke erscheint, nachdem Ringier-CEO Marc Walder wegen seines noch laufenden Skandals «Waldergate» ein mittelgrosses politisches Erdbeben mit seiner Standleitung ins Innendepartement zu Bundesrat Alain Berset ausgelöst hat. In diesem Zusammenhang hat sich Christian Dorer damals öffentlich gegen die Einflussnahme des Ringier-CEOs auf die Blick-Blätter verwahrt und um seine journalistische Ehre gekämpft.
Nun hat also Christian Dorer Zwangsferien und «Michael Ringier hat die publizistische Oberleitung», wie die Pressestelle gegenüber dem Klein Report umgehend am 8. März klarstellte und ungefragt anfügte: «Die Blick-Gruppe gehört zur Ringier AG, die vom Group Executive Board unter der Leitung von Ringier-CEO Marc Walder geführt wird.»
Man könnte meinen, dass die Ringier-Oberen nach eigenen internen und externen Vorfällen sensibler mit dem Thema Privates und Geschäft umgehen. Doch für Marc Walder, Ringier-CEO, scheinen andere Gesetze zu gelten.
Das Angebot des Klein Reports eine andere Sachdarstellung aufzunehmen, hat der Anwalt und die Ringier-Pressestelle bis am späten Sonntagabend nicht genutzt und verstreichen lassen.
Derweil ist in Zürich der Bub in den Brunnen gefallen.