Wie jedes Jahr Anfang August treffen sich im Ringier-Pressehaus oder direkt am Schiffssteg Bürkliplatz in Zürich die Ehemaligen zum alljährlichen Pensioniertenausflug.
Organisiert von den Ringier-Journalisten Franz Glinz (Ex-«Blick») und Ex-«Schweizer Illustrierte»-Fotograf Felix «Filax» Aeberli, kennt der Seniorenausflug seit Jahren dieselbe Destination: mit dem Schiff von Zürich nach Rapperswil, dort ein feines Mittagessen im historischen Saal des Restaurants Rathaus und retour nach Zürich. Diesmal waren es 62 ehemalige Ringier-Mitarbeiter, die sich während sieben Stunden über ihr Vorleben im Dienste des Verlagshauses austauschen konnten.
War früher zumindest immer jemand von der Geschäftsleitung mit dabei - entweder Verwaltungsratspräsiden Martin Werfeli und, vor seinem Ausstieg, sogar Christoph Ringier, der die Besitzerfamilie vertrat -, ist seit vielen Jahren kein Ringier-Familienmitglied mehr auszumachen gewesen - geschweige denn jemand wie etwa CEO Marc Walder.
Wie sich die Zeiten auch sonst geändert haben: Der Apéro auf der Überfahrt nach Rapperswil muss seit letztem Jahr von den Mitreisenden selber bezahlt werden. Dabei handelt es sich nicht etwa um flaschenweise Champagner, harte Drinks oder teure Cocktails. Die meisten tranken Mineralwasser, mit oder ohne Kohlensäure, wenige Capucci und Cafés Crèmes und noch weniger der Pensionierten hatten am Morgen schon Lust auf Einerli oder Zweierli Weissen. Da auch dieses Jahr kein Sponsor für diesen Schiffs-Apéro aufgetrieben werden konnte, zahlten die langjährigen Ringier-Mitarbeiter die paar Fränkli ohne Murren selber.
Das Menü im geschichtsträchtigen Saal des Restaurants Rathaus konnte schon vorab bei der Anmeldung bestellt werden. Entweder Schweinsgeschnetzeltes mit Nudeln, Fisch mit Risotto oder Vegetarisches inklusive grünem Salat und wunderbarer Crème brulée, dazu Weiss- und Rotweine à discrétion - die Herrschaften lassen es sich schmecken. Die Abstimmung, ob nächstes Jahr erneut das Rathaus Rapperswil zum Zug kommen soll oder neu das Spitzenrestaurant auf der Halbinsel Au, fiel zu zwei Dritteln zugunsten von Letzterem aus.
Bekannte Ringier-Journalisten wie etwa Gerichtsreporter Viktor Dammann - frisch pensioniert, er arbeitet aber noch 60 Prozent weiter - waren erstmals dabei. Sport-Ikonen wie Knut Bobzien, der vor kurzem seinen 80. Geburtstag feierte, zum x-ten Mal. Ehemalige Portiers und Telefonistinnen, Anzeigenverkäufer und Trudy Bleisch vom Ringier Kiosk sassen einträchtig neben einst grossen Namen des helvetischen Boulevards wie René «Hansel» Hanselmann, Hanspeter «Hampi» Peyer, Ex-Blick-Sport-Fotochef Walter L. Keller, Fritz «Blacky» Schwarz, Ex-Musik-Papst H. Elias Fröhlich, trotz Pension noch 80 Prozent bei der «GlücksPost» tätig, Helmut Ograjenschek, Mustapha Bouhafs, Gerd Löhrer oder wie die langjährige Sekretärin der «Blick»-Chefredaktion, Silvia «Sile» Kunz. Man redete sich die Köpfe heiss über die Boulevard-Zeitung von heute. Und wie der «Blick» derart heruntergekommen sein könne.
Vor allem die Seite 1 von letztem Donnerstag von «Blick»-Chefredaktor René Lüchinger, eine halbe Seite nur ein Text über den 1. August, polarisierte und erregte die Gemüter. Wie will man mit einem so unattraktiven Thema für die «Blick»-Zielgruppe neue Leser generieren? Wo sind die Geschichten, die ans Herz gehen? Wo ausgedehnte, top-recherchierte Themen zu Sozial-Abzockern und Behörden-Willkür?
Immerhin sei die Kesb in den letzten Tagen in den Schlagzeilen gewesen. Aber man bemängelte die früher teils tagelang abgehandelten Einzelschicksale und taffen Mordgeschichten, die an den Stammtischen diskutiert werden. Kaum fortgesetzte Stories über Raser und die entsprechende Kuscheljustiz, polterten die Senioren.
Die Power von früher, so waren sich die Journalisten von einst einig, fehlt schlichtweg. Vor allem entsprechende Nachzüge der Geschichten, wie sie ausgegangen sind und wo das Gesetz härter hätte eingreifen müssen, wurde moniert. Die Herrschaften von einst erinnerten sich an heisse «Blick»-Themen von früher, welche die Nation erschütterten, zum Beispiel an die Geschichte des Papstes Johannes XXIIl., der noch lebte, als der «Blick» mit der Todesnachricht zu Pfingsten 1963 die Schweiz schockierte.
Zwei, die damals dabei waren, erklärten den Fauxpas, der wegen der falschen Druckplatte ein dummer Zufall gewesen sein soll. Die Schweiz jedenfalls spricht noch heute davon. Der Fall ging in die eidgenössische Mediengeschichte ein. Und damit ist die Legendenbildung auch wieder bewirtschaftet worden.
Warum die Ringier-Mitarbeiter der letzten Jahrzehnte die jährliche Seniorenreise derart lieben, liegt auf der Hand. Das Treffen mit den Kollegen und Kolleginnen aus alten Zeiten ist wie eine Schulreise in die Vergangenheit. Und auch wenn man älter geworden ist: Einige der Anwesenden geben noch immer Vollgas wie etwa Josef «Seppi» Ritler, «Blick»-Reporter-Legende aus Luzern, dessen Facebook-Profil wie ein «Who is who» und «Wer tat was» der «Blick»-Vergangenheit rüberkommt. Manche Boulevard-Helden von einst können es eben nicht lassen.
Einer, der mehr zu erzählen weiss als die meisten, ist Knut Bobzien. 1960 als erster Deutscher eingestellt - damals noch an der Zürcher Dianastrasse als Schriftsetzer am Bleisatz - arbeitete er sich im Laufe der Jahre zum Reporter und Freund der Sportstars hoch. Knut mit der typischen, aber sehr sympathischen Berliner Schnauze, konnte auf vielen Reisen quer durch die Welt des Sports aus dem Vollen schöpfen.
1982 traf er auf eigene Initiative sogar Papst Johannes Paul II. zu einer «Privat-Audienz» im Vatikan, obwohl man ihn durch Offizielle zurückhalten wollte. «`Blick` traf den Papst», hiess anderntags die Schlagzeile mit Foto von Knut und Papst. Knuts Stories über die ehemaligen «Blick»-Chefredaktoren, über prominente Sportler aus allen Bereichen, die teils noch heute seine Freunde sind, und auch spannende Geschichten über einstige Kollegen könnten Bücher füllen.
Aber mehr darüber möchte der Ur-Berliner erst wieder in einem Jahr, beim nächsten Ringier-Seniorenausflug, erzählen.