Schwere Schlappe für die Ringier AG und ihren Anwalt Matthias Schwaibold. Der seit Jahren andauernde heftige und teils niederträchtige juristische Kampf um Persönlichkeitsverletzung, Genugtuung oder Gewinnherausgabe gegen Jolanda Spiess-Hegglin ging in einer neuen Runde deutlich zu ihren Gunsten aus.
Das zeigt der Entscheid des Kantonsgerichts Zug vom 22. Juni 2022, der unter anderem den Weg für die Berechnung der Gewinnherausgabe bei persönlichkeitsverletzenden Medienkampagnen ebnet.
Das Gericht erkannte in vier von fünf eingeklagten Beiträgen eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung. «Die nachträgliche hastige Löschung aller Beiträge über Jolanda Spiess-Hegglin durch Ringier AG hat dem Medienunternehmen bezüglich der Gewinnherausgabe keinen rechtlichen Vorteil verschafft, auch wenn gemäss Zuger Kantonsgericht der Feststellungsanspruch verneint werden muss», wie Spiess-Hegglins Rechtsanwältin Rena Zulauf am Donnerstag dazu schreibt. «Das Urteil setzt für Medienopfer und für den Qualitätsjournalismus einen wichtigen Meilenstein.»
«Dieser willkürliche Eingriff in die Archivfreiheit verfälscht das Bild dessen, was Schweizer Medien zum Fall Spiess-Hegglin/Hürlimann publizierten.» Dieses klare Statement des Schweizer Presserates von Mitte April 2019 bezog sich auf die Löschung von über 200 Artikeln der «Blick»-Gruppe in der Schweizer Mediendatenbank AG (SMD), die im Besitz von Ringier selber, Tamedia und der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) ist.
Kurz vor dem damaligen Gerichtstermin am 10. April 2019 löschte der SMD-CEO Roberto Nespeca auf mutmasslichen Geheiss von Ringier-Anwalt Matthias Schwaibold alle Spiess-Hegglin-Artikel.
Bekannt war damals auch ein Fall aus dem Jahr 2013, als ein Porträt des «Tages-Anzeigers» über Somedia-Verleger Hanspeter Lebrument, das diesem nicht behagte, gelöscht worden war.
Gemäss den Ausführungen des Presserates müsse ein Archiv möglichst vollständig sein, damit auch spätere Generationen noch ein getreues Bild erhalten. «Die SMD hat daher die zentrale Aufgabe, die Gesamtheit der zu ihrem Sammelfeld gehörenden Objekte aufzubewahren. Nur so wird ein Archiv zum wahrhaftigen historischen Gedächtnis.»
Im Verwaltungsrat der Schweizerischen Mediendatenbank sitzen neben Verwaltungsratspräsidentin Anne-Katherina Murmann Amirhosseini, Präsidentin (Ringier), Roman Sigrist, (Ringier), Béatrice Jéquier, (SRG SSR), Peter Wey, (SRG SSR), Konrad Oetiker, (TX Group AG) und Christoph Zimmer (TX Group AG). Von Seiten dieser Damen und Herren herrscht seit Jahren das grosse Schweigen bezüglich all dieser unrühmlichen Aktionen.
Auf den Presserat reagierte Ringier damals umgehend so: «Der Presserat mischt sich in die Angelegenheiten der SMD ein. Er erklärt das SMD-Archiv zur historischen Quelle und will den Eigentümern der Artikel vorschreiben, wie sie mit ihrem Eigentum umzugehen haben. Die SMD ist eine private Aktiengesellschaft.»
Jetzt hat das Zuger Gericht auch entschieden, dass Ringier «die wesentlichen Kennzahlen für jeden einzelnen Artikel herausgeben muss, damit der zu Unrecht erzielte Bruttogewinn pro Artikel berechnet und nach Abzug der direkten Kosten pro Artikel herausgegeben werden kann», schreibt Anwältin Rena Zulauf weiter. «Wie die Klägerin sah es auch das Gericht als entscheidend an, dass bei der Berechnung des Gewinns keine bilanzierten Positionen, die nicht im Zusammenhang mit dem jeweiligen Beitrag stehen, zum Abzug kommen dürfen; damit ist das von Ringier verlangte Abstützen auf eine Gewinnberechnung basierend auf der Kennzahl Ebitda nicht erlaubt.»
Dem offensichtlich falschen Berechnungsparameter zur Gewinnherausgabe von Ringiers Anwalt Matthias Schwaibold hat das Gericht eine Abfuhr erteilt.
Zudem sei es im Rahmen einer Klage auf Gewinnherausgabe nicht notwendig, ein Feststellungsbegehren zu stellen - auch die Klärung dieser Rechtsfrage könnte für Betroffene wichtig sein, so Juristin Zulauf.
Die heutige Netzaktivistin Jolanda Spiess-Hegglin ist froh über das Urteil: «Seit ich nach dem ersten gewonnenen Prozess gegen Ringier meine Entschlossenheit geäussert habe, dass ich mich nicht - wie die meisten anderen Medienopfer, welchen entweder die Kraft, die Freunde oder das Geld ausgingen - mit einem mehr schlechten als rechten Vergleich abfinden lasse, sondern das fehlende Urteil zur Gewinnherausgabe erwirken werde, sind drei Jahre und zwei Crowdfundings vergangen.»
In einem sehr persönlichen Statement äusserst sich Jolanda Spiess-Hegglin ausführlich über das Erlebte. «Um die weiteren medialen Angriffe auf mich irgendwie zu rechtfertigen, wird immer noch oft die Behauptung aufgestellt, ich würde das andere Medienopfer der Zuger Landammannfeier bis heute der Vergewaltigung bezichtigen. Das tue ich - auch hier wieder ausdrücklich - nicht. Ich durfte damals davon ausgehen, Opfer eines Sexualdelikts geworden zu sein und ging ins Spital.»
Die Ermittlungen nahmen ihren Lauf und mit der zu Unrecht lancierten «'Blick'-Geschichte», so Spiess-Hegglin, auch die millionenfach vervielfältigen Verdächtigungen gegen beide Medienopfer. «Es konnte nach juristischer Abklärung keine Täterschaft nachgewiesen werden. Das akzeptiere ich. Seit Jahren. Wir leben in einem Rechtsstaat.»
Für Ringier und dessen CEO Marc Walder und Rechtsanwalt Matthias Schwaibold heisst das bezüglich des erzielten Gewinns im Detail: «Das Gericht verpflichtet Ringier sämtliche lnformationen zur Eruierung und Abschätzung des mit der Publikation der Artikel gemäss Dispositiv-Ziffer 1 erzielten Gewinns offenzulegen, insbesondere: sämtliche Page-Impressions auf die in Dispositiv-Ziffer 1/1.1‐1.4 erwähnten Online‐ Artikel ab deren jeweiligen Publikationsdatum bis zu deren Löschung (Ende 2018); 2.2 sämtliche Unique-CIients-Zahlen (Anzahl Geräte [PC, Tablet, 1-Phone etc.], die auf Blick Online zugegriffen haben) am 27. Dezember 2014, 4. Februar 2015, 14. August 2015 und 24. September 2015; 2.3 Durchschnittswert der Ad‐lmpressions auf Blick Online Durchschnittswert der Ad‐ Impressions (ausgelieferte Werbeeinblendungen pro angeklickter Artikel generell) auf Blick Online ab 24. Dezember 2014 bis Ende 2015; 2.4 Anzahl Einzelverkäufe von Blick und SonntagsBlick am 27. Dezember 2014, 13., 14. und 15. August 2015; 2.5 Anzahl Print-Abonnementverkäufe von Blick und SonntagsBlick am 27. Dezember 2014 und 14. August 2015; 2.6 die beglaubigten Leserzahlen von Blick und SonntagsBlick ab 24. Dezember 2014 bis Ende 2015.»
Der Entscheid des Zuger Kantonsgerichts kann ans Obergericht des Kantons Zug weitergezogen werden.