Nachdem erhebliche Zweifel an der Wahrheit mehrerer Berichte über ein im Sommer angeblich gestorbenes Flüchtlingskind aufgetaucht sind, hat die «Spiegel»-Redaktion mehrere Storys vom Netz genommen.
Die im August veröffentlichten Berichte handelten von syrischen Flüchtlingen, die an der griechisch-türkischen Grenze auf einer Insel im Fluss Evros gestrandet waren. Während die griechischen Behörden mit Menschenrechtlern darüber diskutierten, wer für die humanitäre Hilfe zuständig sei, soll ein fünfjähriges Mädchen ums Leben gekommen sein – an den Folgen eines Skorpion-Stichs.
«Todesfalle EU-Grenze» betitelte das Nachrichtenmagazin einen der Berichte. Hätte sich der griechische Staat nicht verweigert, hätte das Mädchen gerettet werden können. Der Vorfall schien einmal mehr zu bestätigen, dass Menschenrechtsrhetorik und Grenzregime weit auseinanderklafften.
«Nun ist Maria tot. Sie ist Anfang August an Europas Aussengrenze gestorben, weil ihr griechische Behörden jede Hilfe versagten. Sie wurde gerade einmal fünf Jahre alt», hiess es damals in einem der betreffenden «Spiegel»-Artikel.
Klickt man sich heute zu der ursprünglichen URL auf spiegel.de durch, stösst man auf folgenden Hinweis: «An dieser Stelle befand sich ein Beitrag über das Schicksal einer Flüchtlingsgruppe am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros im Sommer 2022. Mittlerweile gibt es Zweifel an der bisherigen Schilderung der damaligen Geschehnisse. Wir haben daher mehrere Beiträge zu diesem Thema vorläufig von unserer Website entfernt.»
Unklar ist nicht nur, ob sich das Schicksal so zugetragen hat, wie vom «Spiegel» behauptet. In Frage steht sogar, ob es das Mädchen, das angeblich auf der Insel begraben wurde, tatsächlich gab. Ist der «Spiegel» womöglich einer Mär der Menschenrechtler auf den Leim gegangen?
Zweifel angemeldet hatte die griechische Regierung. Auf der Insel seien nur vier Kinder gewesen, und diese seien alle nachweislich noch am Leben. Die angeblichen Eltern könnten zudem nicht angeben, wo auf der Insel das Mädchen begraben sein soll. Und einer Exhumierung verweigerten sie sich, wie medieninsider.com das Statement der Regierungsbehörden Griechenlands wiedergab.
Der für die Story zeichnende «Spiegel»-Autor Giorgos Christides twitterte daraufhin: «Anwälte haben im Namen der Eltern beim Staatsanwalt einen Antrag auf Exhumierung der Leiche ihrer 5-jährigen Tochter gestellt, von der sie bezeugt haben, dass sie auf der Insel gestorben ist.»
Es steht Aussage gegen Aussage, die Sache ist noch nicht entschieden. Auf die Schnelle konnte der Reporter die Zweifel an seiner Story jedenfalls nicht durch eindeutige Beweise ausräumen.
Während beim «Spiegel» nun interne Abklärungen laufen, ist der Schaden nach aussen bereits angerichtet. Ungute Erinnerungen an den Jahrhundertlügner Claas Relotius geistern wieder herum. Ist die vor vier Jahren mit viel Selbstkritik reformierte Qualitätskontrolle beim Hamburger Magazin etwa noch immer nicht wasserdicht?