Vermittelt die #MeToo-Debatte ein patriarchales Gesellschaftsbild und ein veraltetes Verständnis von Geschlechterrollen? In ihrer Sendung vom 1. Februar thematisierte Maybrit Illner im ZDF das öffentliche Bild, das in der Debatte unter dem Hashtag #MeToo von Frauen und Männern im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch gezeichnet wird.
Es diskutierten äusserst kontrovers die Feministin Anne Wizorek (Initiantin #aufschrei), die Philosophin und Journalistin Svenja Flasspöhler (Chefredaktorin «Philosophie Magazin»), «Zeit»-Chefredaktor Giovanni Di Lorenzo, der Filmproduzent Benjamin Benedict, ZDF-Intendant Thomas Bellut und die ehemalige Schauspielerin und Unternehmerin Patricia Thielemann, die eine Klage gegen Regisseur Dieter Wedel wegen sexueller Belästigung eingereicht hat.
Die Klein Report-Kolumnistin und Historikerin Regula Stämpfli kommentiert den spannenden und hitzigen Talk.
Seit der Wahl des 45. Präsidenten der USA erfährt die ganze Welt eine Repolitisierung von Themen, die lange Zeit als privat galten. Dabei schwappt die typisch US-amerikanische Branding-Euphorie inklusive Charity-Mentalität («Helft den Opfern», siehe Oprah Winfrey), strukturelle demokratische Defizite vor allem mit Symbolen zu bekämpfen, auch nach Europa und in die Schweiz über.
Hashtags werden ein regelrechter Brand, der die Initiatorinnen schnell mal zu «Influencerinnen» und damit zu Chefinnen neuer Medienunternehmen macht. Brands wie etwa «Pussyhat» sollen Protest symbolisieren ohne konkretes politisches Programm, wirken aber als unglaublich positiver Symbol-Widerstands-Feelgood-Faktor.
Sexuelle Gewalt ist ein Verbrechen, das strafrechtlich verfolgt wird. Dass sexuelle Gewalt im Nahbereich wenig zur Anklage kommt, liegt nicht am Strafrecht, sondern unter anderem an der herrschenden Kultur, an religiösen Geboten und Verboten, an der massiven ökonomischen Ungleichheit zwischen Mann und Frau, aber auch an medial inszenierten Pornobotschaften, wie dies beispielsweise die kluge Autorin Sandra Konrad in einem sehr aktuellen Buch («Warum sie will, was er will») festhält.
Es gibt mittlerweile ganze Bibliotheken voller kluger Bücher, die sich mit sexueller Gewalt und damit, was gegen sie hilft, beschäftigen. Doch selbstverständlich bleiben die meisten dieser Bücher in der Mediendemokratie stumm und werden von den Massenmedien noch so gerne durch einen Hashtag ersetzt. Einige Hashtags sind zu eigentlichen Markenunternehmen mutiert.
Dies erklärt auch, warum in so wichtigen Debatten um Sexismus nicht die gleichen Rechte und die gleichen Freiheiten für alle Menschen im Vordergrund stehen und die Frage, wie Frauen endlich an der Demokratie zu gleichen Bedingungen teilhaben können. Es erklärt, warum punkto Menschenbild auch nicht die grosse mögliche Solidarität unter Menschen angesprochen wird, sondern gerne auf die Biologie der Täter und der Opfer hingewiesen wird. So transformieren sich genuin öffentliche und politische Themen nach einer ersten Empörung zu einer neuen Hashtag-Marke, die ständig bewirtschaftet werden muss in der Hoffnung, dass die Marke letztlich das existierende Recht ausser Kraft setzt oder zumindest zu einem florierenden Unternehmen in der Empörungsbewirtschaftung wird.
Es kommt noch etwas hinzu: In den Diskursen wird die reine, unschuldige, meist auch «junge» Frau beschworen. Die klassische Reinheit einer Maria heisst heutzutage «Verletzlichkeit». Genauso werden patriarchale Phantasmen - wie dies auch die Philosophin Svenja Flasspöhler während der Sendung deutlich festhielt - regelrecht wiederbelebt, beschworen und erfolgreich zur Nachahmung empfohlen.
Dass hier Macho-Phantasmen - was auch zum Voyeurseffekt bei #metoo passt - ausgerechnet von denjenigen Aktivistinnen reinszeniert werden, die vorgeben, die Opfer verteidigen und schützen zu wollen, konnte wegen der empörten Anne Wizorek in der Runde gar nicht diskutiert werden. Die deutsche «Huffpost» titelte denn auch sofort: «Philosophin redet bei ´Illner´ sexuelle Gewalt klein - und bringt eine Feministin in Rage» - als ob es sich bei der wirklich wichtigen, thematischen Auseinandersetzung um einen Zickenkrieg unter Frauen handeln würde.
Maybrit Illners Talk war aufgrund seiner Zusammensetzung ein sehr wichtiger Auftakt zur grundlegenden politischen Debatte um #metoo. Die unterschiedlichen Positionen von Svenia Flasspöhler und Anne Wizorek zeigen, dass es bei #metoo nicht nur um sexuelle Gewalt, um Männer und Frauen, sondern letztlich um einen grundlegenden Wandel in der Politik und um den Rechtsstaat geht. Es geht letztlich auch darum, via Markenpolitik bei gesellschaftlichen Themen die Demokratie und den Rechtsstaat völlig umzukrempeln.
Wer genau hinschaut, erkennt auch den neoliberalen Tauschhandel, der sehr oft hinter Hashtags steht. Alle Beziehungen sollen vertraglich und damit letztlich gegen Geld geregelt werden. So gibt es auch kein wirklich öffentliches Recht mehr, sondern nur noch ein kapitalisiertes Privatrecht. Letztlich geht es - wie die Voten von Anne Wizorek deutlich belegen - darum, die Benimmregeln zu ändern (und wenn möglich zu kapitalisieren) und nicht die Demokratisierung der Politik voranzutreiben. Dies zeigte die interessante Diskussion bei Maybrit Illner.