Spiegel TV und Spiegel Online publizierten in den letzten Tagen eine Themen-Geschichte, wie deutsche Marktforschungsinstitute im ganz grossen Stil ihre Umfragen manipulier(t)en. Gemäss Spiegel Online hätten die Feldinstitute jahrzehntelang selber Antworten fabriziert, Studien erfunden und Fantasiegruppen als Zielpublikum verkauft.
Interessant wäre die Frage, wie es punkto Manipulation durch Marktforschungsinstitute in der Schweiz steht - doch dazu gibt es noch keine Recherchen. Medienexpertin und Politologin Dr. Regula Stämpfli (Verfasserin des Bestsellers «Die Vermessung der Frau») zum Thema Fake Marketing und Fake Science.
Seit Jahren weise ich auf die Fehldiagnosen, Fehlerkenntnisse und auf die regelrechten Vermessungswaffen gegen die Demokratie hin. Die Euphorie zu Big Data, zu Umfragen, zu Tabellen, denen man umso eher glaubt, je schöner sie sind, bricht indessen nicht ab. Die empirischen Sozialforschungen sind vor Lügen, Betrügen, klischierten Thesen, die sich selber bestätigen, nicht gefeit (siehe dazu auch Fake Science von Bayern2 Feature).
Mich interessieren die strukturellen politologisch-ökonomischen Probleme. Erstens: Die Anreize sind bei Marketingstudien oft falsch: Zuviele Umfragen gegen zu wenig Geld. Die Feldforschung wird nach der Anzahl der geleisteten Umfragen und nicht nach Stunden entlöhnt.
Zweitens: Fehlender Reality Check: Wer braucht schon reale Menschen, die enorm viel Zeit erfordern, wenn man mit fiktiven Annahmen, Stereotypen, Klischees und Verhaltensmustern, die viele Wissenschaftler auch immer wieder erheben, genauso «spannende» Erkenntnisse schafft?
Und drittens: Die Mathematisierung der realen Welt («Die Eroberung der Welt als Zahl», wie ich es seit 2007 nenne) führt zu absurden Fiktionen, die dann völlig pervers auf die Wirklichkeit zurückwirken.
Da bei vielen Umfrageforschungen nur Effizienz und Profit den Ausschlag geben, wird getrickst, belogen und betrogen, wo es nur geht. Wissenschaftlerinnen, die darauf hinweisen, wurden in der Vergangenheit regelrecht kaltgestellt.
Die Mathematikerin Cathy O`Neil erzählt in «Weapons of Math Destruction», wie viele Bereiche seit Jahren Big Data produzieren, was einem regelrechten Angriff von Zahlen auf Menschen gleichkommt. Dabei werden Ideologien kreiert, die dann Menschen um den Job, den Baukredit oder auch den Zugang zu einer listenquotierten Universität kosten.
Einige werden einwenden: Who cares, wenn eine Marketingstudie die eigenen Resultate erfindet? Es ist ja «nur» Marketing. Dabei täuschen sich aber die meisten. Die Macht der Studien ist enorm. Menschen glauben Zahlen.
Die bekannte «Towel-Study» von Robert Cialdini zeigte, dass Hotelbesucher nach Anbringen des Schilds «75 Prozent aller Hotelbesucher verwenden ihr Handtuch mehr als einmal» ebenfalls die Tücher länger als einen Tag behielten. Die Ökobilanz des Hotels schnellte in der Folge in die Höhe.
Menschen sind soziale Wesen. Gefälschte Umfragen zeigen Erfahrungen, Meinungen und Einstellungen von Menschen, die dann den Lügen angepasst werden, statt dass die Wirklichkeit ein Abbild der realen Präferenzen für Marken, Parteien, Unternehmen, Konsumartikel etc. erforscht wird. Dies hat grosse gesellschaftliche, ökonomische und politische Konsequenzen.