Drei Zeitungen, zwei Onlineauftritte, eine Message: «Wir ändern unser Kleid.» Die «Neue Zürcher Zeitung» hat den Reigen vergangene Woche mit «Substanz und Ästhetik» eröffnet, der «Tages-Anzeiger» hat am Dienstag mit «sinnlich und seriös» nachgezogen, und der «Blick» wird zuletzt wohl mit «zuerst und farbig» am 14. Oktober zuschlagen. Die drei grössten Verlage redesignen sich selbst und damit ihre Leserschaft, die ihnen schon längst in Scharen davonläuft, schreibt dazu die Politologin und Klein-Report-Autorin Regula Stämpfli.
Die «Neue Zürcher Zeitung», der «Tages-Anzeiger» und der «Blick» benehmen sich wie Sharon Stone, Madonna und Pamela Anderson. Ins Alter gekommen, zeigen sie Qualitäten, die vielleicht vor 30 Jahren attraktiv, heute nur noch peinlich wirken. Statt sich der Herausforderung von Alter und Wandel wie Charlotte Rampling, Miuccia Prada oder Hannelore Elsner zu stellen, konzentrieren sich die drei Altmänner-Zeitungen auf ihr Aussehen. Die Torturen, denen der moderne Journalismus das Menschenbild schon nur layoutmässig unterzieht, sind auch im aktuellen Kleiderwechsel erkennbar. Was soll der Satz der NZZ «die NZZ bleibt sich in ihrer Unaufgeregtheit und seriösen Ausstrahlung auch in neuer Ästhetik treu»? Ist Seriosität wirklich eine Frage von Ausstrahlung?
Bisher meinte ich, dass dazu gute Bildung, Anstand und Benehmen gehört. Aber ich lasse mich gerne belehren. Zumal ich visuell sowie inhaltlich den Unterschied zwischen NZZ und Tagi nur marginal feststellen kann. Jederzeit und überall: Farbige, grosse und ähnliche Bilder, nun halbseitig und halbseidig abgetrennt, ach wie modern! Schliesslich meint auch der «Tages-Anzeiger», er habe sein «inhaltliches Profil» geschärft. Kann ich mir gut vorstellen, bei all den kürzlich erfolgten Entlassungen hochqualifizierter Redaktoren. Wo kein Inhalt vorhanden ist, zeigt sich auch keine Form. Ein Blick auf den uniformen, gleichgeschalteten Onlineauftritt von Tagi, Bund, BaZ und NZZ genügt. Da sind die Nachrichten zwar meist Klasse, aber eben: überall gleich.
Da werden sogar dieselben Kolumnisten und Experten aufgeschaltet: Alle entstammen sie aus dem Selbstbedienungsladen der sich zelebrierenden Meinungsführer mit perfekt funktionierenden männlichen Netzwerken und Vitamin B. Tja. Mit dem Redesign hätten auch neue Inhalte und Personen kommen sollen. Versprach die Postmoderne noch bunte Vielfalt, ist sie nun im dunklen Krawattenträgerlook in Print, TV, in der Politik, in der Wirtschaft und «leider auch in der Kultur» erstickt. Farbe findet anderswo statt: In Facebook, wo der User Generated Content sich manchmal zum Looser Generated Content entwickelt; in den Blogs, in denen Männer, die ihre Poesiealben veröffentlichen, zu Meinungsführern mutieren; auf Twitter, wo das wahre Glück im blitzschnellen Warenglück gelebt wird.
Gratis gewinnt. «20 Minuten» ist das einzige Format, das noch Newswert mit Öffentlichkeit generiert. Hier stimmen Inhalt, Form und Ausstrahlung. «20 Minuten» fehlt nur das, was auch den Untergang der Tageszeitungen beschleunigt: Es ist die Urteilskraft. Dieser Mut, sich dem Bösen der unendlichen Banalität von Schlagzeilen wie «Die Erotik der Glatze» (NZZ) oder «Einmal George Clooney sein» («Tages-Anzeiger») entgegenzusetzen. Aber dazu brauchte es wohl eine andere Chefetage und den Willen, aus echter Klasse auch wieder Kasse zu machen.
Dienstag
29.09.2009