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Sonntag
12.12.2010

Mit einer Party in der Krypta der Zürcher Geburtsstätte des Dada verabschieden sich die Kuratoren Ende Jahr von «rebell.tv». Ein Blogger-Dinosaurier geht vom Netz. Gegründet wurde diese Internet-Institution von Stefan M. Seydel in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Die NZZ schrieb über ihn: «Er gibt sich als Exot und scheint sich in dieser Rolle auch zu gefallen. Sein Programm ist genau so schräg wie jenes des US-Videoblogs `Rocketboom`, für die Seydel regelmässig als Field Correspondent Bloggereien liefert.»

Im Jahr 2007 wurde aus der Intervention GmbH die rebell.tv ag. Der Weinfelder Unternehmer Daniel Model wurde «Verleger» und brachte Venture Capital mit. Als Einsatz war damals in den Medien von einer Million Franken die Rede. Model hatte zudem den Staat Avalon ausgerufen, baute in Müllheim ein «Regierungsgebäude» und propagierte den radikalen Abbau des Sozialstaates.

Stefan M. Seydel und seine Frau Tina Piazzi kommen ursprünglich aus Sozial- und Pflegeberufen. Man tue ihnen Unrecht, ihnen zusammen mit Model ein rechtsideologisches Gedankengut zu unterstellen, sagt Professor Kurt Schmid, Medienpädagoge der Pädagogischen Hochschule Thurgau, der für das Magazin von «rebell.tv» 2009 unter dem Titel «achterbahn» einen über 60-seitigen Beitrag (auf Papier) über Aby Warburg verfasst hat. Darin geht es laut Nachwort von Tina Piazzi um die Dynamik von sachlicher Distanz (Sophrosyne) und leidenschaftlicher Hingabe (Orgiastik).

«rebell.tv» sei ein Filter, der Aktualität mit pointierten Meinungen verknüpfe, Relevantes herauspicke, aber auch Menschliches zulasse, zitiert Seydel in seinem Blog die Begründung für den Erhalt des Migros Jubilee Award in der Kategorie Wissensvermittlung im Jahr 2007. «`rebell.tv` ist auf eine sympathische Art subversiv, ohne jedoch im Geringsten destruktiv zu wirken. Der Blog ist zeitgemässe und zeitgenössische Wissensvermittlung mit niederschwelligem Zugang, innovativ, unterhaltsam und avantgardistisch.»