Es ist ihr letzter Ferientag im Hotel an der Costa Dorada. Sie packen die Koffer. Im Bad hängen flauschige Hotelhandtücher. Stecken Sie eins ein? Beim Verlassen des Supermarkts merken Sie, dass die Kassiererin Ihnen zehn Franken zu viel herausgegeben hat. Geben Sie das Geld zurück? Mit diesen Fragen hat das Magazin «Reader`s Digest» 4000 Europäern - von Portugal bis Russland - auf den Zahn gefühlt. «Reader`s Digest» hat die Befragten mit zwölf moralischen Konfliktsituationen konfrontiert und dabei Erklärungen für die jeweiligen Entscheidungen erhalten. Das Ergebnis: Mit der Moral stehts nicht zum Besten.
Zwar waren nur 16 Prozent der Befragten bereit, das Handtuch aus dem Hotel zu stehlen, doch die Gründe dafür lauteten: «Man weiss ja nicht, wer die schon benutzt hat», meinte eine junge Britin. Oder ein Finne: «Meine Handtücher sollen zueinander passen, darum klaue ich nicht in Hotels.» Und ein Schweizer beichtete: «Ich konnte mein Glück kaum fassen, als ich in einem Hotel in Hongkong Handtücher und Waschlappen mit meinem Monogramm vorfand. Ich packte täglich ein Set in meinen Koffer. Als ich abreiste, tauchten alle fünf Sets auf meiner Hotelrechnung auf: Ich habe mich so fürchterlich geschämt.» Tja, wer schon klaut, sollte sich wenigstens nicht erwischen lassen.
Frei von Skrupeln in Bezug aufs Schwarzfahren sind laut Umfrage 80 Prozent der Russen: Sie würden den Zug zur Arbeit ohne Billett benützen, wenn die Chancen gut stünden, nicht erwischt zu werden. Und eine dänische Mutter zur selben Frage: «Ich würde ohne Billett einsteigen, aber nie, wenn meine Kinder dabei sind. Ich muss doch Vorbild sein.»
Neben Fragen zur Steuerhinterziehung, dem Stifteklau im Büro oder dem Vordrängeln im Verkehr standen auch Beziehungskonflikte zur Debatte: Beispielsweise die Frage rund ums Fremdgehen. 14 Prozent mehr Frauen als Männer nehmen laut Umfrage in der Schweiz für sich in Anspruch ehrlich zu sein, was diese Frage anbelangt. Doch eine ehrliche Antwort muss nicht unbedingt moralisch korrekt sein.
Freitag
27.06.2003