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Montag
28.08.2017

TV / Radio

Bürkler, Marchand & Seydel im Gespräch

Bürkler, Marchand & Seydel im Gespräch

Die Funktionsweise von Radio muss in der digitalisierten Gesellschaft neu gedacht werden: Eine Gelegenheit, der Schweizer Medienbranche auf den Zahn zu fühlen und einen Überblick über die neusten Entwicklungen zu erhalten, bot wie jedes Jahr der Swiss Radio Day. Der langjährige Radiomacher Philipp Bürkler war dabei und berichtet für den Klein Report von seinen Eindrücken.

«Das Radio muss sich neu erfinden», sagte Gilles Marchand, künftiger SRG-Generaldirektor, in seinem Referat am Swiss Radio Day. Tatsächlich wird es dafür höchste Zeit, nicht nur für das Radio: Die Medien und die Gesellschaft generell müssen neu gedacht werden.

Marchand, der am Swiss Radio Day seinen ersten öffentlichen Auftritt als designierter Generaldirektor hatte, steht in der SRG für einen System- und Kulturwandel. Der Soziologe versteht Gesellschaft als horizontales Gebilde mit einer Vielzahl gleichberechtigter Akteure: «Früher war die Gesellschaft vertikal, autoritär und top-down. Damit ist Schluss, heute ist sie horizontal», erklärte der Westschweizer im Gespräch.

Denn: Die Demokratisierung von Technologie und die einfache Verbreitung von Inhalten im Netz haben in der Tat massive Auswirkungen auf unser Leben, unsere Arbeit und unsere Denkweise.

Während Marchand über das neue Gesellschaftssystem referierte, ging es in den Vorträgen im Nebenraum um Themen wie Musik-Content bei den Sendern, neue Nachrichtenformate oder um passende Inhalte auf Social Media.

«Radiohörer sind nicht dumm, sie haben bloss keine Zeit», hiess es in einer Präsentation über die «Reichweitensteigerung auf Facebook». Die Idee dahinter: Radiosender sollen ihren Hörern, die offenbar keine Zeit und Musse haben, sich mit anspruchsvolleren Inhalten zu beschäftigen, auf Facebook möglichst lustige, tolle und vor allem kurze Videos posten, die diese dann mit minimalem Zeitaufwand konsumieren und liken können.

Ganz in diesem Sinne zeigt eines der am meisten geklickten Videos mit dem Titel «Wenn dein Chef sagt, du kannst früher ins Wochenende» ein Küken, das im Tempo eines 100-Meter-Rekord-Läfers über den Rasen rennt. Man hält die Hörer zwar nicht für völlig blöd, traut ihnen aber auch nicht viel zu.

Bereits seit Jahren dreht sich am Swiss Radio Day die Diskussion um die Musik, so auch 2017. Ein Thema, das polarisiert und in zwei Lager spaltet. Die einen wollen mehr musikalische Vielfalt, Überraschung und Tiefgang, die andern fürchten einen «Abschaltfaktor» und sehen Mainstream als einzige Strategie, um am Markt erfolgreich zu sein.

Jeder Sender «verkauft» die Musik seinem Publikum als vielfältig und abwechslungsreich, am Ende klingen sie doch alle gleich. Eine Unterscheidung der einzelnen Programme ist, zumindest für die Gelegenheitshörerin, nicht möglich. Radio24 und Radio Energy Zürich sollen laut einer Analyse zu 80 Prozent identische Musik spielen, erklärt mir jemand während eines «Networking Breaks».

Erfrischend und keck waren deshalb die Worte von der Berliner RadioEins-Musikchefin Anja Caspary. Der öffentlich-rechtliche Sender spiele «nur die Musik, die uns gefällt» – und das erfolgreich in Berlin, einem der härtesten umkämpften Radiomärkte Europas. Der Sender hat einen Wort- und einen Musikanteil von je 50 Prozent, überträgt nachmittags Live-Konzerte und spielt achtminütige Songs. Für hiesige Hörer wäre das eine Zumutung. Schweizer Hörer haben schliesslich keine Zeit, wie wir wissen.

Den Mut, sich ein kantigeres und authentischeres Profil zu geben, konnte in der Schweiz bislang noch niemand aufbringen. Im Klartext heisst das: Moderatoren «schreien» die Hörer in einer affektierten Gute-Laune-Stimmung an und «verkaufen, verkaufen, verkaufen» tagtäglich die gleiche Musik. Ein erfrischendes Programm mit Moderatoren, die ihren Hörern auf Augenhöhe begegnen, gibt es praktisch nicht. Einzige Ausnahme ist GDS.FM in Zürich, ein Sender mit einem differenzierteren Musikprogramm.

Birte Linddal hielt zum Abschluss der Konferenz die Key Note. Die Futurologin aus Dänemark referiert über gesellschaftliche Trends, Megatrends und Anti-Trends: Linddal sieht das «Offlinegehen» als Trend. Immer mehr Menschen suchten Ruhe und Abstand von der «hektischen» digitalen Welt, erklärte sie.

Als Beweis für die zunehmende Ablehnung des Digitalen zitierte Linddal aus dem Buch «I hate the Internet» von Jarett Kobek und verbreitete damit letztlich selbst Kultur- und Medienpessimismus. Der Vortrag beschrieb Begriffe der Zukunftsforschung, brachte aber keine neuen und innovativen Ideen, wie ein zukünftiges Medien- und Gesellschaftssystem aussehen könnte.

Die Diskussion, wie unsere Gesellschaft künftig funktioniert, ist unbedingt fällig. Die kommende Internetgesellschaft ist eine völlig andere, als sie es zu Zeiten vor dem Internet war. Gilles Marchand, ab Oktober SRG-Generaldirektor, ist sich sicher: Die Medienzukunft kann nur gelingen mit einer starken SRG. Diese sehe der 55-Jährige durch die «No-Billag»-Initiative in Gefahr. Die Initiative werde nochmals im Nationalrat debattiert, ´dann werden wir sehen, ob es einen Gegenvorschlag gibt oder nicht`.

«No-Billag» bietet eigentlich die ideale Plattform, um über einen angemessenen Service Public, der vor Jahrzehnten im analogen Zeitalter definiert wurde, in der zukünftigen digitalen Gesellschaft zu diskutieren. Was heisst Service Public im digitalen Zeitalter überhaupt?

Den Kampf gegen die Initiative bezeichnete Marchand als sein wichtigstes Anliegen in den ersten Monaten als Generaldirektor. Bei einer möglichen Annahme der Initiative sieht er nämlich schwarz: «Dann heiss es bei der SRG Lichter löschen und Türen schliessen.»