Was passiert, wenn protestierende Bürger plötzlich kompetent mitreden sollen? Welche Kompetenzen brauchen Bürgerinnen und Bürger in der Zivilgesellschaft? Darüber war an der Medienethik-Tagung in München einiges zu erfahren. Roger Blum berichtet für den Klein Report.
Als Politiker und Flughafen-Verantwortliche die Pläne für eine dritte Landepiste in den Gemeinden rund um den Flughafen Wien-Schwechat vorstellten, um die Menschen hinter dieses Grossprojekt zu bringen, erreichten sie das Gegenteil. Es bildeten sich überall sofort Bürgerinitiativen gegen das Projekt. Die Fronten waren so starr, dass ein Mediationsverfahren eingeleitet wurde, an dem 57 Organisationen mit 66 Personen teilnahmen. Während fünf Jahren fanden 500 Sitzungen statt. Am Schluss einigten sich alle auf den Kompromiss, dass die Piste gebaut wird, aber mit massiven Lärmschutz- und Nachtflugverbots-Auflagen.
Die Klagenfurter Medienprofessorin Larissa Krainer hat die Mediation wissenschaftlich begleitet und berichtete in München über ihre Erkenntnisse. Partizipative Entscheidungsverfahren benötigen eine kollektive Sprachbildung, analysierte sie. Am Anfang reden manche eine Sprache, die andere wegen der Fachausdrücke oder unterschiedlicher Denkweisen nicht verstehen. Diese müssen als Erstes auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden, will man Vertrauen erarbeiten. Und die Beteiligten müssen lernen, wie sie zu einer konsensorientierten Kommunikation finden. Erst dann, und erst, wenn sie sich gegenseitig vertrauen, sind sie auch zu Kompromissen bereit. Solche Verfahren, so Krainer, schaffen oft Kommunikationskulturen, aus denen neue Konflikte entstehen - und Gegenöffentlichkeiten. Denn die Bürgerinnen und Bürger «draussen» sind nicht auf dem gleichen Stand und nicht gleichermassen kompromissbereit wie die Delegierten «drinnen». Krainer erklärte auch: Solche Verfahren sind nicht medientauglich. Denn Medien sind weder bereit noch - schon angesichts der Dauer - in der Lage, sie permanent zu begleiten.
Psychologisch lief in Wien vieles ähnlich ab wie im Vermittlungsverfahren in Stuttgart rund um das Bahnprojekt «Stuttgart 21» - mit einem gravierenden Unterschied: In Stuttgart setzte die Vermittlung erst ein, als alle politischen Entscheide schon gefallen waren. In Wien bereitete die Mediation die politischen Entscheide vor.
Dass die Zivilgesellschaft kompetente Bürgerinnen und Bürger braucht, weil sie durch Willenskundgebungen auf politische und ökonomische Prozesse Einfluss nehmen, erläuterte Bernhard Debatin, Professor für Multimedia-Politik an der Ohio University (USA). Er forderte vor allem, dass Menschen sich kompetenter in einer stark von der Technik bestimmten Welt zurechtfinden müssten. Er vermisst drei Kernkompetenzen, die in Schulen, Hochschulen und Weiterbildungskursen unbedingt eingeübt werden müssten:
- Erstens eine die Technologie reflektierende Medienkompetenz, die die Menschen befähigt, die spezifischen technischen Eigenschaften eines Mediums zu begreifen und dadurch zu verstehen, was Medien anrichten können.
- Zweitens eine die Technologie reflektierende Umweltkompetenz, damit das Bewusstsein dafür steigt, wie schnell die Menschen Geräte entsorgen: Jedes Jahr würden auf der Welt zwei Milliarden Mobiltelefone und 300 Millionen Computer verschrottet.
- Drittens eine die Technologie reflektierende Privatsphärenkompetenz, damit die Menschen merken, wo überall ihre Privatsphäre überwacht und angegriffen wird.




