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Dienstag
05.06.2001

Der «Tages-Anzeiger» hat keine antisemitisch gefärbten Leserbriefe bevorzugt, schreibt der Presserat am Dienstag. Kritik am Staat Israel und an den Handlungen der Verantwortlichen dieses Staates seien nicht von vornherein antisemitisch motiviert. Es bestehe jedoch die Gefahr, dass Antisemiten ihr Gedankengut in Leserbriefen indirekt zu verbreiten versuchen. Eine Zurückweisung solcher Leserbriefe sei berufsethisch aber erst dann gerechtfertigt, wenn eine antisemitische Gesinnung zumindest latent auch im Text selber zum Ausdruck kommt. Den Redaktionen empfiehlt der Presserat, krasse Übertreibungen, die gesichertem Alltagswissen widersprechen, zu streichen. Ende 2000 hatte sich ein Leser des «Tages-Anzeigers» beim Presserat über die seines Erachtens «generell antisemitisch gefärbte Leserbriefauswahl» der Zeitung beschwert. Er unterbreitete dem Presserat zwei Leserbriefe zur Prüfung. Der «Tages-Anzeiger» wies die Beschwerde zurück, räumte jedoch ein, dass sich die Briefe im Grenzbereich bewegten. Der Presserat lehnte die Beschwerde ab. Er kommt in seinen Erwägungen zum Schluss, dass die Leserbriefe im Grenzbereich zwischen berufsethisch verpönter Diskriminierung und Diffamierung einzuordnen seien. Es handle sich um gerade noch zulässige Polemik und überzeichnete Kritik. Eine redaktionelle Streichung der ärgsten Übertreibungen wäre zwar empfehlenswert, aber berufsethisch nicht zwingend gewesen.