Mit einem Kommentar über das Unglück eines belgischen Reisecars im Wallis hat Regula Stämpfli im März eine Welle der Empörung ausgelöst.
Nun hat der Schweizer Presserat eine umfassende Beschwerde gegen die Kolumne, die am 14. März auf dem Onlineportal news.ch erschienen ist, abgewiesen. Nach Ansicht des Gremiums hat die in Belgien lebende Schweizer Politologin mit ihrem Kommentar weder die journalistische Wahrheitspflicht noch die Menschenwürde oder den Opferschutz verletzt.
Unter dem Titel «Belgisation: Weshalb Unglücke auch politisch sind» hatte Stämpfli darüber geschrieben, dass Unfälle individualisiert würden, obschon sie strukturell bedingt seien: «Niemand macht sich daran, die Struktur von Unfällen und Schicksalsschlägen zu untersuchen, es sei denn unterbelichtete Wissenschaftler, die jedes menschliche Versagen auf ein hormonelles Zusammenspiel zurückführen wollen.» Dabei, so Stämpfli, würden Verkehrsunfälle mit Preisen, Ausbildung und Infrastruktur zusammenhängen.
Was dabei für Empörung sorgte, war, dass Stämpfli in der Kolumne eine Verbindung zwischen den politischen Verhältnissen in Belgien und dem Busunglück herstellte: «Meine erste, spontane Reaktion als Mutter ist: Oh, nein! Wie grauenhaft! Meine zweite: Erstaunt mich nicht. Ein belgischer Reisebus - mit Betonung auf belgischer.» Ausbildung, Kontrolle, Fahrtechniken und Austattung von Reisebussen, hiess es weiter, «sind in Belgien auf dem Niveau eines Drittweltlandes.»
In einem «PS» schloss die Publizistin: «Ein belgischer Zusammenhang, der übrigens nie vergessen werden sollte: Der Richter, welcher den Kindervergewaltiger und -mörder Dutroux bei lebenslänglich nach ein paar Monaten in den 1990ern begnadigte und freiliess, wurde von der europäischen Kommission und dem europäischen Parlament wenig später zum europäischen Richter befördert. Viva la Belgique!»
Beim Presserat sind in der Folge zahlreiche, teils gleichlautende Beschwerden gegen den Kommmentar eingegangen. News.ch habe mit der Veröffentlichung die Ziffer 1 (Wahrheit), 2 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3 (Entstellung von Informationen), 5 (Berichtigung) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Rechte und Pflichten von Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
Der Artikel, argumentierten die Beschwerdeführer, beeinhalte unwahre und die Tatsachen entstellende Aussagen und lasse zudem die angebrachte Respektierung der Menschenwürde der Opfer vermissen. Zudem diskriminiere er den Staat Belgien und seine Bevölkerung.
Nach Meinung des Presserats bewegt sich Stämpflis Kolumne im Rahmen der Kommentarfreiheit, die auch Äusserungen in offensichtlich übertriebener und polemischer Weise zulasse: «Eine Verletzung der Wahrheitspflicht oder die Entstellung von Informationen liegt erst dann vor, wenn die Gefahr besteht, dass die Leserschaft durch übertriebene Behauptungen und Metaphern getäuscht wird», heisst es in der am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme.
Man könne sich zwar fragen, meint der Presserat, «ob es in einem polemischen Rundumschlag gegen die belgische Politik und ihre Institutionen auch noch notwendig oder sinnvoll war, den `Fall Dutroux` zur `Beweisführung` heranzuziehen». Doch ungeachtet dessen, ob man das Beispiel für passend oder unpassend erachte, bewege sich die Autorin hier innerhalb der Kommentarfreiheit, zumal sie die wesentlichen faktischen Grundlagen ihrer Kritik offenlege.
Beim Punkt der Verletzung der Menschenwürde und der Diskriminerung kommt der Presserat zum Schluss, dass sich die Kritik Stämpflis nicht gegen Belgier im Allgemeinen, «sondern an den Staat Belgien, an die Verantwortungsträger in Verwaltung und Justiz sowie an die Politikerinnen und Politiker» gerichtet habe. Zudem ziele die Polemik auch nicht auf «eine zu schützende Minderheit».