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Dienstag
14.10.2003

Journalisten sollen eine Quelle auch dann so genau wie möglich umschreiben, auch wenn ein grundsätzlich gerechtfertigter Quellenschutz bestehe. In der Regel sei die Berufung auf den Quellenschutz und die Anonymisierung der Quelle bei Mitarbeitenden in untergeordneten Chargen gerechtfertigt, nicht ohne weiteres dagegen bei Personen mit Kaderfunktionen und erst recht nicht beim «Chef» eines Hilfswerks. Zu diesen Schlüssen ist der Presserat in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme gelangt.

Die «Weltwoche» veröffentlichte im Oktober 2002 zwei kritische Artikel zur Schweizer Asylpolitik mit den Titeln «Eine Million Franken pro Flüchtling» und «Umsatzträchtig - wie die Hilfswerke von schleppenden Verfahren profitieren». Darin beanstandete der Autor zum Teil unter Berufung auf anonyme Quellen, dass es trotz grosser finanzieller Aufwendungen nur unter grosser Mühe gelinge, «echte Flüchtlinge von falschen» zu unterscheiden. Weiter kritisierte er, dass eine «Asylindustrie» aus Anwälten und Hilfswerken aus Eigeninteresse abgewiesene Asylbewerber mit einem grossen administrativen Apparat darin unterstützten, ihre Verfahren zu verschleppen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) gelangte an den Presserat und rügte, die «Weltwoche» habe Tatsachen entstellt, Aussagen falsch zugeordnet, Quellen nicht genannt, sich bei der Informationsbeschaffung unlauterer Methoden bedient, Falschmeldungen nicht berichtigt und das Diskriminierungsverbot verletzt. Die «Weltwoche» wies die Beschwerde als unbegründet zurück.

In seiner Stellungnahme hält der Presserat fest, es gehöre zu den Aufgaben der Journalistinnen und Journalisten, die schweizerische Asylpolitik und die in diesem Bereich handelnden Akteure zu beobachten und gegebenenfalls zu kritisieren. Solange die Leserschaft in der Lage sei, die Grundlagen von zwar kritisier- und anfechtbaren Berechnungen und Wertungen («eine Million Franken pro Flüchtling») nachzuvollziehen, sei die Kommentarfreiheit nicht verletzt. Hingegen hätte die «Weltwoche» selbst die vertraulichen Quellen genauer umschreiben und Personen mit Kaderfunktionen nennen müssen. Schliesslich wäre es unabdingbar gewesen, die hauptsächlich kritisierte SFH vor der Veröffentlichung des Artikels anzuhören und ihr die Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen.